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Im Dreieck Europa-Nordamerika-Südamerika unterhält die Europäische Union die besseren Beziehungen zu Lateinamerika. Die EU ist für Lateinamerika der zweite Handelspartner. An die 50 Prozent der EU-Exporte gehen in die Mercosur-Staaten. Am engsten ist das Verhältnis aber zu Mexiko und Chile, wie der zweite Gipfel der Staats- und Regierungschefs aus den 48 Ländern Lateinamerikas, der Karibik und der EU in Madrid zeigte. Nach Mexiko wird es auch mit Chile ein Freihandelsabkommen der Union geben. Daneben haben Europa und Lateinamerika die politische Einigung erzielt, die weltweite Abrüstung voranzutreiben, Terrorismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen sowie die Menschenrechte und die Umwelt zu schützen.
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Wir müssen in Zeiten der Globalisierung ein Zeichen von Solidarität setzen." Die EU müsse daher den Staaten Lateinamerikas und der Karibik "Hilfe zur Selbsthilfe leisten", wie es Bundeskanzler Wolfgang Schüssel formulierte. Der zweite EU-Lateinamerika-Gipfel ist als symbolische Handreichung mit Signalfunktion zu sehen. Europa müsse die geographischen und wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen helfen, so Schüssel zur Unterzeichnung des EU-Freihandelsabkommens mit Chile. Die erste Vereinbarung dieser Art hat die EU mit Mexiko geschlossen, das Abkommen ist im Jahr 2000 in Kraft getreten. Der gegenseitige Handel ist seither um 30 Prozent gestiegen, Mexikos Exporte in die Union haben um 40 Prozent zugenommen, jene der Union in die Gegenrichtung um plus 20 Prozent.
EU-Erfolg mit Mexiko
Mehr noch als die 15 EU-Staaten untereinander sind die 16 Karibik-Staaten und die 17 lateinamerikanischen Staaten sehr unterschiedlich. "Das ist kein einheitlicher Länderblock", betonte Außenministerin Benita Ferrero-Waldner. Traditionell blicken die Länder Lateinamerikas und der Karibik (mit Ausnahme der französischen Départements) nach Nordamerika und orientieren sich an den USA. Nunmehr wollen auch die ehemaligen Kolonialherren vom Alten Kontinent den bislang benachteiligten Staaten die Hand reichen. Eigentlich bedürfe es nun einer Sitzung auf der Couch von Sigmund Freud, meinte die spanische Tageszeitung "El Mundo".
Im Verhältnis zwischen Europa und den lateinamerikanischen und karibischen Staaten sind indirekt die USA (deren wichtigster Handelspartener) omnipräsent. In der Abschlusserklärung von Madrid verurteilen die Vertreter der 48 Gipfel-Länder den Unilateralismus - ohne die USA explizit zu erwähnen. Die Weigerung der USA, das Kyoto-Abkommen zur Reduktion der Treibhausgase und Eindämmung der Erderwärmung zu ratifizieren, bereitet besonders den karibischen Inselstaaten Sorgen. Kritik wurde außerdem daran geübt, dass die USA Schutzzölle für ihre Stahlindustrie beschlossen haben und nicht am neuen Internationalen Strafgerichtshof teilnehmen. EU-Handelskommissar Pascal Lamy kritisierte USA-Pläne zur Anhebung von Agrarsubventionen. "Der Unilateralismus steht im Gegensatz zu einer ausgewogenen Sichtweise der Welt", meinten die Präsidenten Frankreichs und Brasiliens, Jacques Chirac und Fernando Henrique Cardoso, unisono. Multilateralismus bedeute hingegen, Politik im Interesse aller zu machen, so EU-Außenpolitikbeauftragter Javier Solana.
Die wirtschaftliche Kooperation der EU mit Lateinamerika zu stärken ist in beiderseitigem Interesse. Zumal die Dominanz der USA in der Region unvermindert steigt: Das Handelsvolumen zwischen den lateinamerikanischen und den europäischen Ländern lag im Jahr 2000 bei mehr als 100 Mrd. Euro; im Zeitraum von 1980 bis 2000 ist jedoch der EU-Anteil von 20 auf 15 gefallen. Die USA haben hingegen von 35 auf 47 Prozent zugelegt. "Wir wollen eine strategische Partnerschaft", unterstrich Deutschlands Kanzler Gerhard Schröder die wirtschaftlichen Ambitionen der EU. In der Export orientierten deutschen Industrie seien 300.000 Arbeitsplätze mit den Ausfuhren nach Lateinamerika verknüpft.
Kein EU-Kredit für
argentinischen Tango
Aber auch die EU muss sich öffnen und Handelsbarrieren abbauen, fordern die lateinamerikanischen Staaten. "Wir müssen Märkte finden für unsere Produkte, damit diese an die Stelle der Kokain-Produktion treten können," formulierte Perus Präsident Alejandro Toledo den Anspruch. Bolivien etwa hat zugesagt, die Kokain-produktion um 60 Prozent zu reduzieren. Ein Dorn im Auge sind den lateinamerikanischen Staaten vor allem die Barrieren im Zugang zur Landwirtschaft und die Agrarsubventionen in Europa.
Ein Freihandelsabkommen wollen auch die Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Urugay) erreichen. Für die Verhandlungen ist jedoch noch kein Ende abzusehen. Sorgenkind ist vor allem die Krise in Argentinien, genannt "argentinischer Tango". EU-Ratspräsident Aznar hat das Land zu "schmerzvollen Maßnahmen" und zu einem raschen Übereinkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgerufen. In Argentinien mangle es an Liquidität, die Arbeitslosigkeit sei eingebrochen, so Außenministerin Ferrero-Waldner, die in Madrid bilaterale Gespräche führte. Von der EU wird es vorerst keine finanziellen Hilfsmittel geben. Lediglich Italiens Premier Silvio Berlusconi hat zwei Kredite zugesagt. Italien will auch, als symbolische Geste, seine Grenzen für den Import von argentischen Produkten öffnen.
Mercosur, bitte warten
Die Handelsminister von EU und Mercosur werden im Juli in Brasilien über ein Abkommen weiter verhandeln. Die EU hat auch in Aussicht gestellt, mit Zentralamerika und den Anden-Staaten (wie Peru, Bolivien, Kolumbien, Venezuela und Ecuador) Verhandlungen über eine Handelsliberalisierung aufzunehmen. Ein Abkommen wird es allerdings nicht vor dem Jahr 2005 geben. Dann wird auch der gegenseitige Handelspakt Nord- und Südamerikas in Kraft treten.
Die Kooperation verstärkt werden soll nicht nur auf dem wirtschaftlichen Feld und im Kampf gegen den illegalen Drogenhandel. Auch der Terrorismus müsse "in all seinen Formen" bekämpft werden, sind die EU-15 mit den lateinamerikanischen und karibischen Staaten übereingekommen. "Der Terrorismus ist die größte und akuteste Gefahr für das Wertesystem, das wir miteinander teilen", betonte EU-Ratspräsident Aznar. Kolumbiens Präsident Andrés Pastrana beharrt indes - mit gewichtiger Unterstützung Spaniens und Großbritanniens - auf der Forderung, die FARC, die bewaffneten Rebellen Kolumbiens auf die EU-Liste der Terroristen zu setzen. Die Außenminister der Union sollen sich mit der Frage bei ihrem Treffen am kommenden Donnerstag befassen. Dänemarks Premierminister Anders Fogh Rasmussen, der ab Juli die Ratspräsidentschaft von Aznar übernimmt, erklärte die politischen Ansprüche Europas und die wirtschaftlichen Forderungen Lateinamerikas folgendermaßen: "Wenn die reichen Länder ihre Grenzen öffnen sollen, müssen die armen Länder zusagen, die Korruption zu bekämpfen und ihre Demokratie aufzubauen."
Erst in den 1990-er Jahren hat in Lateinamerika die Entwicklung zur Demokratie begonnen. Die EU hatte und hat ihren Blick bisher mehr gen Osten und auf den Balkan ausgerichtet. Die Region jenseits des Atlantik wurde vernachlässigt. Die Beziehung zu Lateinamerika begann die EU erst nach dem Beitritt Spaniens 1986 zu pflegen. Ob 20 Jahre nach dem Falklandkrieg zwischen Argentinien und Großbritannien und nach dem nun erfolgten spanischen Wiederbelebungsversuch eine neue Ära zwischen den beiden Regionen beginnt, bleibt abzuwarten. Die nächste Zwischenbilanz ist in drei Jahren in Mexiko geplant.