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1975 zog sich die spanische Kolonialmacht aus der Westsahara zurück. Der Zensus, mit dem Spanien ein Jahr zuvor die sahrauische Bevölkerung erfassen ließ, sollte Basis für eine | Volksabstimmung über die Zukunft der Westsahara sein. So weit kam es jedoch nicht, da unmittelbar nach dem Abzug der Spanier Marokko und Mauretanien das Gebiet besetzten. Es kam zu einem Massenexodus | der sahrauischen Bevölkerung. Nach dem Rückzug Mauretaniens und zwei Jahrzehnten gezielter Marokkanisierung sieht Marokkos Monarch die Westsahara als integralen Bestandteil des Königsreiches an. Ein | Gespräch mit Mohamed Sidati, Berater des sahrauischen Präsidenten und Verantwortlichen für den Wahlkampf der Polisario, über den Fortgang des "letzten afrikanischen Dekolonisationskonfliktes".
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Herr Sidati, bis heute wurden 140.000 Menschen durch die UN-Kommissionen identifiziert, um die Stimmberechtigten für das allesentscheidende Referendum zu ermitteln. Da Marokko aber die
Einbindung weiterer 65.000 Menschen verlangt, ist der Friedensprozeß nun ins Stocken geraten. Die Durchführung des ursprünglich für Dezember 1998 geplanten Referendums wird sich erneut verzögern.
Sollte die Lösung des Konflikts so nahe vor dem Ziel scheitern?
"Wir kennen die Störversuche der Marokkaner zur Genüge. Seit dem Beginn des Friedensprozesses 1991 hat sich Marokkos Monarch, Hassan II, immer wieder neue Hindernisse einfallen lassen, um ein
Referendum über die Zukunft der Westsahara zu verhindern. Erst die Ernennung des ehemaligen US-Außenministers, James Baker, zum UN-Sonderbotschafter hat den stagnierenden Verhandlungen einen
entscheidenden Durchbruch gebracht. Im Abkommen von Houston haben sich letztes Jahr beide Seiten auf die Modalitäten der Wähleridentifikation geeinigt. Daß Marokko nun die Identifikation weiterer
65,000 "Sahrauis" verlangt, ist ein klarer Bruch der Houstoner Vereinbarungen."
Wie argumentiert Marokko diese Forderung? "Im konkreten Fall geht es um rund 4000 Menschen, die seit vielen Jahrzehnten in der Westsahara leben. Die Polisario erkennt ihnen aufgrund dieses
langen Zeitraumes alle Rechte als Sahrauis zu. Sie sind Angehörige dreier Stämme, die insgesamt 65.000 Menschen ausmachen und auf marokkanischem Territorium leben. Marokko verlangt nun, daß alle
65.000 als Sahrauis zum Referendum zugelassen werden. Das ist ungefähr so, wie wenn ganz Bratislava ein Recht auf die österreichische Staatsbürgerschaft einfordern würde, nur weil einige Leute von
dort in Österreich leben! Es muß ganz deutlich gesagt werden, daß diese absurde marokkanische Haltung einzig und allein auf die Zerstörung des Friedensprozesses abzielt."
Wie reagiert die Polisario darauf?
"Wir werden sicherlich nicht akzeptieren, daß dem sahrauischen Volk ein neuer Wahlkörper auferlegt wird. Allerdings haben wir der UNO unsere Bereitschaft signalisiert, zu Gesprächen mit Marokko
zusammenzutreffen. Nicht, um das Houstoner Abkommen neu zu verhandeln, sondern um eine Beschleunigung der ausständigen Wähleridentifikation zu erreichen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran
erinnern, daß höchste marokkanische Regierungsvertreter ihre Unterschrift unter das Abkommen gesetzt haben. Wir hoffen also auf einen Abschluß der Identifikationen bis Ende August, wobei es nun an
der UNO liegt, diesen auch durchzusetzen."
Wieviel Nachdruck läßt sich hier realistischerweise erwarten?
"Mit James Baker hat UN-Generalsekretär Kofi Annan einen sehr einflußreichen Politiker zum Sondergesandten bestellt. Seine Arbeit, sowie die der UN-Identifikationskomitees ist als äußerst positiv
zu beurteilen. Der Aktionsradius von Baker und dem UN-Sonderbotschafter Charles Dunbar hängt jedoch wesentlich vom politischen Willen der USA und der EU ab. Solange Marokko Diplomaten, internationale
Beobachter und die Entminungsexperten der MINURSO (UN-Truppen) ungestraft bei ihrer Arbeit behindern darf, solange wird auch der Friedensprozeß einer ständigen Gefährdung ausgesetzt sein. Umso
wichtiger ist es, daß die europäischen Staaten durch ihre stationierten MINURSO-Truppen eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen, in der die marokkanische und die sahrauische Bevölkerung Hand in Hand
einen freien und fairen Referendumsprozeß mittragen.
Schließlich ist es auch in Hinblick auf den Wahlvorgang selbst wichtig, daß den Sahrauis die Angst vor der Fahrt in ,Feindesland` genommen wird. Ich rufe daher die Europäische Union auf, eine
Deklaration zu veröffentlichen, in der sie sich mit klaren Worten zur Durchsetzung eines freien und fairen Referendums bekennt."
Welche Anreize darf die EU sich von der Implementierung der "Demokratischen Republik Westsahara" erwarten?
"Strategisch gesehen ist es für die EU von vitalem Interesse, Stabilität und Frieden in ihrer unmittelbaren geographischen Nachbarschaft zu haben. Darüber hinaus ist die Polisario bemüht, eine
demokratische Republik Westsahara zu schaffen, deren pluralistische, tolerante und freie Gesellschaft Signalwirkung für die gesamte Region hat. Wir unterstützen weder religiösen Fanatismus, noch das
rückschrittliche Modell einer tribalistischen Gesellschaft. Wer sich das wirtschaftliche Zusammenwachsen des europäischen und des maghrebinischen Raumes ansieht, wird die notwendige Förderung von
stabilen, friedlichen und demokratischen Verhältnissen erkennen."
Gibt es eigentlich schon konkrete Pläne über die Umsiedelung der Betroffenen im Fall eines positiven Referendumsausganges? Immerhin haben sich 350.000 Marokkaner in den besetzten Gebieten
angesiedelt, während über 100.000 Sahrauis aus den Flüchtlingslagern bei Tindouf dorthin zurückgebracht werden müssen.
"Nein. Die Angaben der UN über die Repatriierung der sahrauischen Flüchtlingsbevölkerung sind äußerst vage. Ob diese per LKW durch die Wüste in die Westsahara gefahren werden, und wie die
Versorgung der Menschen aussieht, ist noch nicht klar. Tatsache ist, daß in den von der marokkanischen Besatzung befreiten Gebieten alle notwendigen Vorbereitungen zur Rückführung laufen.
Die ersten Grabungen nach Wasser waren bereits erfolgreich. Wir arbeiten auch am Wiederaufbau von Schulen, Spitälern und anderen infrastrukturellen Einrichtungen. Inshallah · so Gott will · werden
wir auf diese bald zurückgreifen."