Massive Fluchtbewegungen aus der Ukraine zeichnen sich noch nicht ab - dennoch bereiten sich EU-Staaten darauf vor.
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Nur ein leichter Akzent ist zu bemerken. In den Warschauer Bars und Restaurants ist der ukrainische Einschlag in der Sprache der Kellner oft zu hören, das Polnische ist beinahe fehlerfrei. Hunderttausende, vielleicht auch eine Million Ukrainer wohnen und arbeiten in Polen: Sie sind in der Gastronomie, Hotellerie und anderen Dienstleistungsbereichen tätig, werken auf dem Bau, pflegen ältere Menschen. Manche sind angestellt, manche werden von ihren Arbeitnehmern nicht angemeldet - auch wenn die polnische Regierung den Arbeitsmarkt mittlerweile fast vollständig geöffnet hat.
Im Vorjahr haben knapp 300.000 Ukrainer eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, doch die Zahl der Anträge auf eine Arbeitsbewilligung ist um ein Vielfaches höher. Und auch wenn polnische Regierungsvertreter noch immer manchmal von "Flüchtlingen" sprechen, die das Land aufgenommen habe, tragen Ukrainer in erster Linie dazu bei, Polens Wirtschaft anzukurbeln: Kaum eine Branche kommt mehr ohne sie aus.
Suche nach Unterkünften
Doch nun rückt die Migration im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt mit Russland erneut verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit. Wieder ist von möglichen Fluchtbewegungen die Rede - auch wenn etliche Experten darauf verweisen, dass im Fall eines russischen Angriffs auf Teile der Ukraine die Bewohner wohl in erster Linie zu Binnenflüchtlingen werden. Sollten sie aber nach Polen kommen, könnten sich etliche zunächst einmal an ihre Angehörigen dort wenden.
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Dennoch bereitet sich das Land auf die Aufnahme von Flüchtlingen vor - so wie es andere Nachbarstaaten ebenfalls tun. So werden in Polen Notfallszenarien auch auf Gemeindeebene gewälzt: Welche Objekte können zur Verfügung gestellt werden, um die Menschen zu versorgen? Jedenfalls sei Polen bereit, Ukrainern zu helfen, deklarierte vor kurzem Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak. Darüber, wie viele Menschen kommen könnten, gibt es allerdings nur Spekulationen und vage Schätzungen: Von bis zu einer Million Flüchtlingen ist die Rede.
Auch in Rumänien sprach Innenminister Lucian Bode zuletzt von einem möglichen "massiven Flüchtlingsstrom". In allen Bezirken entlang der Grenze zur Ukraine seien bereits provisorische Unterkünfte eingerichtet worden, erklärte er in der Vorwoche in einer Talkshow. Zudem seien Standorte für Aufnahmezentren größeren Ausmaßes mit dem vor Ort zuständigen medizinischen Personal festgelegt worden. Die rumänischen Behörden hätten dabei "mehrere Szenarien" durchgespielt, die auch "Flüchtlinge anderer Staatsangehörigkeit als die ukrainische" einschließen, erklärte Bode laut Agenturmeldungen.
Gutes Image
In der Slowakei, die in der EU die kürzeste Grenze mit der Ukraine teilt, nimmt die Flüchtlingsdebatte noch keinen großen Platz ein, meint die ehemalige slowakische Botschafterin in Wien und Warschau, Emilia Vasaryova. Allerdings habe auch Premier Eduard Heger kundgetan, dass Vorbereitungen getroffen werden und beispielsweise Spitäler auch zur Not Verwundete versorgen könnten. "Dass wir im Ernstfall Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen, ist auch für die Menschen eine Selbstverständlichkeit", sagt Vasaryova der "Wiener Zeitung". Wobei sich die Slowakei in der Vergangenheit auch im Rahmen der EU-Debatte um Flüchtlingsquoten nicht als besonders migrantenfreundlich erwiesen hat - ähnlich wie Polen.
Nichtsdestotrotz sei das Image der Ukrainer in der Slowakei gut. "Wir haben viele ukrainische Ärzte hier", betont die langjährige Diplomatin. Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass ebenfalls Russen tendenziell positiv, verklärt gesehen werden: "Das ist historisch tief verwurzelt."
Jedoch werde die Diskussion, wie die Ukraine unterstützt werden könnte, laut Vasaryova unter mehreren Aspekten diskutiert: "Nicht nur mit Geld und Medikamenten, sondern wie wir als Nato-Land helfen können." So seien bereits Minensuchgeräte geschickt worden. Wobei die Slowaken weit weniger Nato-Enthusiasten seien als etwa die Polen.
Gleichzeitig ist aber allen an die Ukraine angrenzenden Ländern bewusst, dass gerade die Nachbarn die Auswirkungen eines bewaffneten Konflikts mit Russland am stärksten zu spüren bekommen. Daher werden auch auf EU-Ebene Notfallpläne vorbereitet, die zunächst einmal diesen Mitgliedstaaten gelten. Dabei steht ebenso die Versorgung von Flüchtlingen im Vordergrund.
Subsidiärer Schutz statt Asyl
In Österreich, wo derzeit offiziell rund 12.600 Ukrainer leben, wird ebenfalls eine Erhebung der Möglichkeiten durchgeführt. Aber die deutlich gestiegene Zahl an Asylanträgen im Vorjahr - rund 40.000 - hat in Verbindung mit der Säumigkeit zahlreicher Bundesländer, Asylwerber zu übernehmen, die Bundesquartiere zur Erstversorgung an die Kapazitätsgrenzen gebracht. Nach Auskunft der Betreuungsagentur des Bundes hat sich zuletzt die Lage ein wenig entspannt. Doch warten noch immer mehr als 1.900 Menschen in einem Quartier des Bundes auf eine Unterkunft in den Bundesländern.
Asylanträge von Ukrainern gibt es allerdings nur mehr vereinzelt, seit diese ohne Visum in die EU einreisen dürfen. Sollte es zu einem bewaffneten Konflikt in der Ukraine kommen, könnte sich das ändern. Kriegsflüchtlinge erhalten aber in der Regel keinen Asylstatus, sondern einen auf ein Jahr befristeten subsidiären Schutz, der jedes Jahr, solange der Krieg läuft, verlängert werden muss. Österreich hat am Wochenende, wie andere Staaten auch, eine Reisewarnung für die Ukraine verhängt - jedoch nicht für deren westliche Regionen. Das ist nicht irrelevant. Bei Verfahren auf internationalen Schutz könnte sich dadurch die Behörde auf einen Paragrafen des Asylgesetzes berufen: Liegt eine innerstaatliche Fluchtalternative vor, ist der Antrag abzuweisen.