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EU-Osterweiterung oder Gasprom-Westerweiterung?

Von Stefan Voß

Politik

Kiew/Moskau - Der Ukraine droht bei den Parlamentswahlen am kommenden Ostersonntag eine innere Zerreißprobe. Während der katholisch geprägte Westen auf liberale Reformkräfte setzt, stehen die bevölkerungsreichen Gebiete im orthodoxen Osten hinter den Regierungsparteien oder den Kommunisten. Viele Ukrainer erhoffen sich vom Wahlausgang ein deutliches Signal für die Nachfolge des Präsidenten Leonid Kutschma (63), der zunehmend wieder an Moskau orientiert ist. Die Präsidentenwahl steht 2004 an.


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Das beste Ergebnis dürfte nach Umfragen der Wahlblock "Unsere Ukraine" des im April 2001 gestürzten Regierungschefs Viktor Juschtschenko (48) erzielen. Genau am 15. Jahrestag der Atomreaktorexplosion im nordukrainischen Tschernobyl hatte der im Westen als Reformer geschätzte Juschtschenko seinen politischen GAU erlebt, als ihm die Parlamentsmehrheit das Misstrauen aussprach. In Kiew hieß es damals, Kutschma selbst habe die Entlassung eingeleitet, weil ihm der Reformpolitiker und mögliche Nachfolger zu mächtig geworden sei. In Umfragen liegt die Juschtschenko-Fraktion bei 20 bis 25 Prozent.

Selbst bei einem Wahlsieg Juschtschenkos dürfte die Mehrheit der 450 Abgeordneten bei dem in der Ukraine üblichen Gefeilsche um die Fraktionsbildung dem Kutschma-Lager beitreten. Der übermächtige Staatsapparat steht im Wahlkampf auf Seiten des Wahlblocks "Für eine geeinte Ukraine" um Kutschmas rechte Hand, den Präsidialamtschef Wladimir Litwin (45).

Umfragen sehen diese Gruppierung ebenso bei knapp 10 Prozent wie die "Vereinigten Sozialdemokraten". Beide Parteiblöcke stehen in enger Verbindung zu neureichen Wirtschaftsoligarchen aus dem Umfeld Kutschmas. Als "Trojanische Pferde" der politischen Führung gelten die Parteien "Frauen für die Zukunft" und die Grünen, die nach Ansicht der Opposition Frauen und junge Wähler von einer Stimmabgabe für Juschtschenko abhalten sollen.

Erstmals in der Geschichte der seit 1991 unabhängigen Ukraine dürften die Kommunisten nicht als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen. Die Lobreden auf die Sowjetunion überzeugen in der Ukraine immer weniger Wähler. Als Partei der Rentner und Funktionäre soll die KP nach Umfragen weniger als 20 Prozent der Stimmen erhalten. Vor vier Jahren waren es noch knapp 25 Prozent.

Vor allem liberale Parteien klagen über direkte Eingriffe des Staatsapparates in den Wahlkampf. So wurden Kundgebungsorte gesperrt, Plakate abgerissen und Wahlspots im regionalen Fernsehen untersagt. Als Opfer eines unfairen Wahlkampfs sieht sich auch die mit dem Juschtschenko verbündete Julia Timoschenko (41). Die frühere Vize- Regierungschefin gilt als Kämpferin gegen die Energie-Kartelle im Land, soll sich aber selber an Gasgeschäften mit Russland bereichert haben. In Umfragen liegt sie bei etwa 5 Prozent.

Ungeachtet eines wirtschaftlichen Aufschwungs in den vergangenen zwei Jahren herrscht in der Bevölkerung weiter große Armut. Über den Energiesektor gewinnt die russische Wirtschaft zunehmend an Einfluss im Land. Lediglich im ehemals polnischen Westen der Ukraine ist vor den Wahlen Kritik darüber zu hören, dass Kutschma sich den Erpressungen des russischen Energieriesen Gasprom immer weniger widersetzt.