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EU-Parlament erzwingt Umbildung in Brüssel

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Nach wochenlanger Kritik der EU-Parlamentsabgeordneten zog der designierte EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso den Vorschlag für sein 24-köpfiges Team zurück - und kam damit der drohenden Ablehnung der gesamten Kommission zuvor. Er versprach "notwendige und ausreichende Änderungen" in seiner Mannschaft. Bis zu deren Bestellung muss die EU-Kommission unter Romano Prodi im Amt bleiben.


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Jose Manuel Barroso zog es vor, nicht abstimmen zu lassen. Denn bei dem für gestern angesetzten Votum im EU-Parlament drohte dem designierten Kommissionspräsidenten eine Niederlage: SozialdemokratInnen, Liberale, Grüne und Linke drohten mit der Ablehnung der gesamten EU-Kommission. So kam Barroso zu dem Schluss, dass "das Ergebnis für die europäischen Institutionen und das europäische Projekt nicht positiv wäre, wenn eine Abstimmung heute stattfände", verkündete er gestern in Straßburg. Daher lege er keinen Vorschlag für das künftige Kommissionsteam vor. Zuvorgegangen war dem eine wochenlange Debatte im EU-Parlament über die Eignung einzelner Kommissarinnen und Kommissare. Im Zentrum der Kritik der Abgeordneten stand der Italiener Rocco Buttiglione, der für das Amt des Innen- und Justizkommissars vorgesehen war. Der Parlamentsausschuss für Grundfreiheiten hat ihn nicht zuletzt wegen seiner Aussagen zu Homosexualität und der Rolle der Frau abgelehnt. Umstritten sind aber auch die designierte Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer Boel, die künftige Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes sowie Laszlo Kovacs (Energie), Stavros Dimas (Umwelt) und Ingrida Udre (Steuern und Zölle).

Berlusconis Bitte

Bis zur letzten Minute suchte Barroso, der die Hoffnung auf eine Bestätigung seines Teams nicht aufgeben wollte, nach einem Kompromiss. Eine Möglichkeit wäre der Verzicht Buttigliones auf sein Amt gewesen. Nach italienischen Medienberichten hat Ministerpräsident Silvio Berlusconi den designierten Kommissar auch darum gebeten. "Ich habe ein reines Gewissen, ich habe mir nichts vorzuwerfen", stellte Buttiglione aber noch gestern fest. Doch von dessen Verbleib in der künftigen Kommission gehen mittlerweile wenige aus.

Offen bleibt, auf welche anderen Mitglieder Barroso noch verzichtet. Jedenfalls stellte er "notwendige und ausreichende Änderungen" in Aussicht - ohne auf einzelne Personen einzugehen. In einigen Wochen muss er dem EU-Parlament einen Vorschlag präsentieren, der für die Mehrheit annehmbar ist. Zudem braucht er für eine Umbildung die Zustimmung der Staats- und Regierungschefs. Je früher die neue Kommission ihre Arbeit aufnimmt, desto besser, meinte Parlamentspräsident Josep Borrell: "Doch es dauert nun mal, so lange es dauert."

Nicht die Gleichen

Durch die Verschiebung der Entscheidung demonstrierte das EU-Parlament seine Macht. Geschwächt sieht sich Barroso dennoch nicht. Und auch die Fraktionen im Parlament loben lieber die Demokratisierung der Balance zwischen den europäischen Institutionen. Das Parlament habe "an Statur gewonnen", erklärte etwa der liberale Fraktionschef Graham Watson.

"Barroso wäre geschwächter, hätte er abstimmen lassen", kommentierte der Vorsitzende der Sozialdemokrat-Innen, Martin Schulz. Gleichzeitig forderte er den designierten Präsidenten auf: "Kommen Sie nicht mit der gleichen Kommission zurück." Ähnlich äußerte sich der Grünen-Fraktionschef, Daniel Cohn-Bendit.

Der Vorsitzende der größten Fraktion, der konservativen EVP, Hans Gert Pöttering, betonte ebenfalls, die Umbildung dürfe nicht nur eine Person betreffen. Auch Kovacs, Udre und Kroes sollten entfernt werden oder andere Ressorts erhalten.

Die Delegationsleiterin der SPÖ, Maria Berger, zeigte sich über die Entscheidung Barrosos erfreut. Ebenso ÖVP-Delegationsleiterin Ursula Stenzel: Barroso hätte die einzig richtige Möglichkeit gewählt. Der grüne EU-Abgeordnete Johannes Voggenhuber strich einen anderen Aspekt hervor: Die Sensation bestehe darin, dass die Demokratie ein Stück Normalität in Europa wurde.