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Ablehnung "eine Frage der Ehre". | Große Fraktionen dürften gegen Swift- Abkommen sein. | Brüssel. Eine wachsende Mehrheit im EU-Parlament dürfte die erste Kraftprobe unter dem Lissabonner Vertrag nicht verspielen wollen. Für das Abkommen zum Austausch von Banküberweisungsdaten des belgischen Finanzdienstleisters Swift mit den USA werde es keine Zustimmung geben, erklärten die Spitzen der CDU/CSU-Gruppe, Werner Langen und Markus Ferber. Die größte Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) werde dagegen stimmen. Denn es stelle sich ganz grundsätzlich die Frage der "Sinnhaftigkeit des Datentransfers", sagte Langen. Es könne nicht ohne öffentliche politische Beratung so tief in die Grundrechte der Bürger eingegriffen werden. | Abgeordnete dürfen künftig mehr Gesetzgeber sein
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Auch der Vorsitzende der zweitgrößten Fraktion der Sozialisten und Demokraten (S&D), Martin Schulz, hat sich bereits für eine Ablehnung ausgesprochen. SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried zeigte sich "erfreut" über die Aussagen der EVP-Spitzenpolitiker. Unter der Hand hieß es zwar, dass es innerhalb der Fraktionen noch unterschiedliche Meinungen gebe, die Mehrheit aber wohl für eine Machtdemonstration gegenüber den Mitgliedsstaaten sei.
"Das EU-Parlament lässt sich nicht einfach abdrängen", sagte Langen. Damit bezog er sich auf die Tatsache, dass die Innenminister das Abkommen mit den USA am Vorabend des Inkrafttretens des Lissabonner Vertrags und damit einer neuen EU-Rechtsgrundlage auf den Weg gebracht hatten. Die Außenminister der Mitgliedsstaaten haben die vorläufige Anwendung des Vertrags ab 1. Februar zu Wochenbeginn ohne weitere Diskussion beschlossen. Das dürfte aber nicht besonders lange laufen, weil schon das Votum des Parlaments nur rund eineinhalb Wochen später das Ende des Abkommens bedeuten könnte.
ÖVP-Delegationsleiter Ernst Strasser erntete von Langen Kritik dafür, dass er vor einer schlechteren Rechtsgrundlage gewarnt hatte, sollte das EU-USA-Abkommen durchfallen. "Im Gegenteil", sagte der CDU-Politiker. "Ich habe Strassers Pressemeldung gelesen und gehe davon aus, dass er die letzten Monate nicht anwesend gewesen ist." Er räumte aber auch ein, dass es "Druck aus der österreichischen Hauptstadt" für ein Einlenken gegeben habe. Strasser meinte gestern, Donnerstag, er habe sich noch keine abschließende Meinung gebildet.
Verständnis für die drohende Ablehnung des Vertrags mit den USA keimt unterdessen auch in Diplomatenkreisen. Aus Sicht des Parlaments müsse der Vertrag abgelehnt werden, das sei "eine Frage der Ehre." Aus strategischen Gründen müssten die Abgeordneten jetzt wohl "Nein" sagen, damit sie in Zukunft stärker gehört würden. Stimmten sie dem Übergangsabkommen für den Datenaustausch zu, wäre ihre Verhandlungsposition für das langfristige Abkommen geschwächt, dass ab November gelten soll.
Und tatsächlich plädieren die Mitgliedsländer schon dafür, die Datenaustausch- und Sicherheitsmaßnahmen im Fahrwasser des gescheiterten Anschlags bei Detroit zu Weihnachten weiter auszubauen. So soll ein neuer Anlauf für den Austausch und die Analyse von europäischen Flugpassagierdaten für die Rasterfahndung in der EU genommen werden.
Neuer Konflikt
Schon bisher prüft die USA diese Daten von EU-Passagieren auf Transatlantikflügen. Zusätzlich haben die Innenminister erst unlängst ihre Vorliebe für Körperscanner auf den Flughäfen durchklingen lassen. Gesetzesvorschläge der EU-Kommission werden im Frühjahr erwartet. Das EU-Parlament hat bereits Widerstand angekündigt.
Wie heftig bei der Umsetzung des Lissabonner Vertrags um die Abgrenzung von Machtsphären gerungen wird, zeigt auch ein französisches Geheimmanövers im Rat (der Kammer der Mitgliedsstaaten in Brüssel). So versucht Generalsekretär Pierre de Boissieu angeblich die zivilen und militärischen Kriseninterventionsabteilungen unter französischer Führung bei dominierender Rolle des Militärs zusammenzuführen und so Fakten für den künftigen Auswärtigen Dienst der EU zu schaffen. Das Parlament will dagegen eine Zusammenlegung mit den bisher ebenfalls damit befassten Dienststellen der EU-Kommission, auf die es etwa über die Budgethoheit mehr Einfluss hätte.
Wissen: Die Swift-Debatte
(wot) Die USA greifen bereits seit kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf die Banküberweisungsdaten des belgischen Finanzdienstleisters Swift zu. Dabei bedienten sie sich gemäß der US-Anti-Terrorgesetzgebung beim Spiegelserver in Virginia, ohne die EU viel danach zu fragen. Über die Server von Swift laufen pro Tag rund 15 Millionen Transaktionen von mehr als 8000 Banken in 200 Ländern.
Als der systematische Zugriff der US-Fahnder Mitte 2006 aufflog, schlossen die EU und die USA rund ein Jahr später ein Abkommen, in dem sich Washington verpflichtete, die Daten nur für Anti-Terror-Ermittlungen zu nutzen, maximal fünf Jahre lang aufzuheben und Datenschutzstandards anzuwenden, die mit jenen der EU vergleichbar sind. Der französische Richter Jean-Louis Bruguiere überprüfte im Auftrag der EU-Kommission die Zusagen der US-Behörden. In seinem letzten Bericht vom Jänner 2009 kam er zu dem Schluss, dass das Abkommen von den Amerikanern eingehalten worden und die Überwachung hilfreich im Kampf gegen den Terrorismus gewesen sei.
Bruguieres Report ist nach wie vor unter Verschluss, um Terroristen keine Hinweise für die Funktionsweise und Erkenntnisse des Systems zu geben, wie es heißt. Das ist andererseits eine der größten Schwierigkeiten für die Befürworter des Datenaustausches, weil in der Öffentlichkeit nicht klar ist, ob und welche Erfolge die Durchforstung der Informationsflut gebracht hat.
Swift selbst hat bereits im Herbst 2007 beschlossen, die EU-Banküberweisungsdaten ab 2010 nur mehr über Server in den Niederlanden und der Schweiz laufen zu lassen, um Datenschutzbedenken zu entkräften.
USA, EU-Kommission und eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten wollen auf das "Terrorist Finance Tracking Programme" aber nicht verzichten, weil die EU selbst derzeit keine ausreichenden Möglichkeiten zur Überprüfung der Finanzströme hat. Sie wollen die bestehende Praxis bis zur Ausarbeitung eines neuen Abkommens unter Mitarbeit des EU-Parlaments aufrecht erhalten. Fällt das Übergangsabkommen, können die US-Behörden unter Berufung auf ein Rechtshilfeabkommen die Übermittlung von Bankdaten von Personen beantragen, gegen die ein Strafverfahren läuft - oder Washington übt Druck auf die Staaten aus, wo die Server stehen.