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Noch vor einer Einigung der EU-Staats- und Regierungschefs droht die Volksvertretung mit einer Ablehnung des Budgetvorschlags für die kommenden sieben Jahre.
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Ein Veto als letztes Wort bei Verhandlungen? Mag das Zurückweisen eines Kompromisses auch am Ende von Gesprächen stehen - die Drohung damit lässt sich freilich schon viel früher einsetzen. Sie schwirrte beim Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs, der über das Wochenende hinaus verlängert wurde, immer wieder durch den Raum. Einmal konnte es Italien sein, ein anderes Mal Polen, wieder ein anderes Ungarn. Dessen Ministerpräsident, Viktor Orban, hatte die Ermächtigung dazu übrigens schon vor seiner Reise nach Brüssel im Parlament in Budapest erhalten.
Bei den Gesprächen in Brüssel ging es nämlich um Geld, und diese Budgetverhandlungen gestalteten sich noch schwieriger als sonst. Denn zusätzlich zu den gut 1000 Milliarden Euro, die die EU für die Jahre 2021 bis 2027 ausgeben will, kommen Corona-Hilfen hinzu, die die europäische Wirtschaft nach der Pandemie wieder mit ankurbeln sollen. 750 Milliarden Euro soll der Wiederaufbaufonds nach ursprünglichen Plänen umfassen, den Großteil davon sollen Zuschüsse bilden, die die betroffenen Länder nicht zurückzahlen müssen.
Während auf der einen Seite um den Anteil dieser Zuschüsse und der Kredite gerungen wurde, gab es auf der anderen Seite Forderungen nach einem Kontrollrecht für die Vergabe der Mittel sowie Überlegungen zu den Bedingungen dafür. Sollen es Zusagen zu Reformen sein? Soll die Rechtsstaatlichkeit ein Kriterium sein? All diese Fragen sorgten unter den Staats- und Regierungschefs für Zwist.
Ringen um Rechtsstaatlichkeit
Dennoch: Eine Annäherung zeichnete sich über das Wochenende ab. Andernfalls würde der für zwei Tage angesetzte Gipfel am Montag nicht in seinen vierten Tag gehen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron gaben sich am Nachmittag sogar "vorsichtig optimistisch". Merkel sprach von "einem Rahmen für eine mögliche Einigung", und Macron ortete einen "Geist des Kompromisses".
Da stand dann aber schon die nächste Vetodrohung im Raum - doch sie kam nicht aus dem Ratsgebäude, in dem die Regierungsspitzen tagten. Vielmehr schaltete sich der Präsident des Europäischen Parlaments ein. David Sassoli pochte unter anderem auf eine ausreichende Dotierung des Unionsbudgets, auf neue Eigenmittel für die EU, einen Rechtsstaatsmechanismus sowie ein Ende der Rabatte, von denen zum Beispiel Österreich bei seinen Beitragszahlungen profitiert. "Wenn diese Bedingungen nicht ausreichend erfüllt sind, wird das Europäische Parlament seine Zustimmung nicht erteilen", erklärte Sassoli.
Auch wenn im Gremium der Staats- und Regierungschefs zu dem Zeitpunkt die Auffassung des EU-Abgeordnetenhauses alles andere als im Fokus der Aufmerksamkeit stand, ist die Ankündigung aus der Volksvertretung nicht unerheblich. Denn das EU-Parlament muss dem Ausgabenplan zustimmen. Das müssen auch die nationalen Abgeordnetenhäuser tun.
Zwar ist eine Finanzeinigung unter den Regierungen der wohl wichtigste Schritt hin zum künftigen Budget. Doch werden weitere Gespräche mit den EU-Mandataren folgen. Wie die Kommission wünscht sich das Parlament mehr Geld für die Union, als die Staaten zu geben bereit sind. Ein endgültiger Kompromiss wird daher nicht zuletzt vom Verhandlungsgeschick der Vermittler abhängen - diese Rolle müssen die Kabinette von Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im sogenannten Trilog übernehmen.
Zustimmung von Abgeordneten
Gleichzeitig können die Staats- und Regierungschefs nationale Befindlichkeiten nicht außer Acht lassen. Zum einen sind sie bei Wahlen auf die Zustimmung ihrer Landsleute angewiesen und müssen in ihren Hauptstädten erklären, wie sie sich in Brüssel für die jeweiligen Interessen eingesetzt haben.
Zum anderen brauchen sie eben eine Bestätigung von ihren Abgeordnetenhäusern. Dass der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte derart vehement auf seiner Sparposition beharrte, hängt nicht zuletzt mit seiner innenpolitischen Situation zusammen: Seine Koalition verfügt im Parlament nur über eine knappe Mehrheit, und für die muss Rutte überzeugend wirken.
Die Gefahr eines Vetos bleibt also auch nach einer Gipfeleinigung erhalten - ob in Brüssel oder Den Haag.