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EU plant Nothilfe für Bauern

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Verhandlungen über Entschädigung für Umsatzeinbußen. | Hunderte Millionen Euro Schaden befürchtet. | Brüssel. Selbst wenn die Quelle des besonders gefährlichen EHEC-Erregers O104:H4 inzwischen gefunden wäre: Für die Gemüsebauern ist es längst zu spät. Täglich müssen sie hunderte Lastwagenladungen von Gurken, Tomaten und Salat wegwerfen. Der Schaden geht längst in die hunderten Millionen Euro. Die EU-Kommission feilt daher inzwischen an einem Entschädigungsmechanismus für die Landwirte. Bei einem Sondertreffen der Agrarminister am Dienstag soll eine Richtungsentscheidung fallen. | Spanien will von Berlin volle Entschädigung | Schwarz-Gelb wegen EHEC unter Druck | Alte Sprossen, neue Hoffnung


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Dabei geht es für viele Landwirte um die Existenz: 200 Millionen Euro hätten die Spanier allein letzte Woche verloren, meinte Agrarministerin Rosa Aguilar. Ihr Regierungschef Jose Luis Zapatero prangerte öffentlich die vorschnelle Festlegung der Deutschen auf die spanische Gurke als Quelle des Übels an. Sein Land dürfe nicht alleine für den Schaden bezahlen, wetterte er. Auch die Aufhebung der Gurkensperre durch die EU-Kommission Mitte vergangener Woche konnte niemandem mehr Appetit auf das Grünzeug machen. Seit dem ersten Generalverdacht, der auch Tomaten und Salat umfasste, ist der Absatz massiv eingebrochen. Deutsche Erzeugerverbände sprechen von Verlusten über fünf Millionen Euro pro Tag. Französische Gemüsebauern sollen bisher rund 1,5 Millionen Euro verloren haben. In Österreich betrage der Schaden derzeit rund eine Million Euro, sagte Landwirtschaftskammerpräsident Gerhard Wlodkowski.

Doch die direkte Nothilfe für die Bauern aus der EU-Kassa gestaltet sich rechtlich heikel. Denn grundsätzlich sind Entschädigungszahlungen für Obst- und Gemüsebauern laut EU-Agrarmarktordnung nicht vorgesehen. Die Juristen der Kommission erwägen jetzt aber den Artikel 191 des Rechtstextes aus dem Jahr 2007 als Trumpf. Laut dem darf die Brüsseler Behörde "erforderliche und gerechtfertigte Maßnahmen" ergreifen, "um in dringenden Fällen auf spezifische praktische Probleme zu reagieren." Im Endeffekt würde es auf eine Art EU-Sonderfonds für Landwirte hinauslaufen, die deutliche Umsatzeinbrüche durch die EHEC-Krise hinnehmen mussten. Gespeist werden könnte der Topf durch nicht verwendete Agrarförderungen aus anderen Bereichen, hieß es in Kommissionskreisen.

Rechtlich kompliziert

Rechtlich unkompliziert wäre ansonsten bloß die EU-Subventionierung von Gemüsebauern bis zur Höhe von zehn Prozent ihres Jahresumsatzes, wenn sie in Vermarktungsverbänden organisiert sind. Diese Schwelle könnte womöglich auch erhöht werden, meinte ein Experte. In entsprechenden Verbänden sind EU-weit aber nur knapp 35 Prozent der Landwirte. Vor allem in den neuen Mitgliedsländern ist der Organisationsgrad mit gut zwei Prozent extrem gering.

Ein drittes mögliches Standbein für die Entschädigung der Gurkenproduzenten könnten Zuschüsse aus den nationalen Budgets sein. Bis 7500 Euro über drei Jahre müssten sie nicht einmal in Brüssel gemeldet werden. Bei höheren Beträgen muss die Kommission prüfen, ob sie nicht den Wettbewerb verzerren. Vier bis sechs Wochen würde das wohl dauern, hieß es.

Welche der angedachten Optionen die Landwirtschaftsminister am Ende gutheißen, war am Montag noch nicht klar. Erwartet wurde in Brüssel aber eine Richtungsentscheidung, auf deren Basis die Kommission einen formellen Vorschlag für einen Ausweg zu Gunsten der Obst- und Gemüsepflanzer ausarbeiten kann.

Weniger Verständnis für die Gurkenbauern der EU hat hingegen Russland. Nur Tage vor dem halbjährlichen EU-Russlandgipfel am Donnerstag hatte Moskau eine Importsperre für sämtliches Gemüse aus der Union verhängt. Die Kommission verurteilte den Schritt als unverhältnismäßig und eine unzulässige Handelshürde im Sinne der Welthandelsorganisation WTO, welcher Russland noch heuer beitreten könnte. Nichts davon hören wollte am Montag der russische Präsident Wladimir Putin: "Wenn Menschen sterben, weil sie Gurken essen, dann stinkt etwas." Das sei keine Frage der Geisteshaltung, meinte er.