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EU-Profis ohne eigene Regierung

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Pragmatische Kompromisse für schwierige Projekte. | Erfolge für Belgien bei Haushalt, Lkw-Maut und EU-Patent. | Brüssel. Eine neue Regierung hat Belgien seit den Wahlen vor mehr als sechs Monaten noch keine, seinen EU-Vorsitz hat es aber wie erwartet professionell und effizient abgespult. Lange blockierte Gesetzesprojekte erhielten neuen Schwung; für bisher kaum lösbar erscheinende Gegensätze zwischen den Mitgliedstaaten wurden pragmatische Kompromisse ausgehandelt. In EU-Kreisen hört man nur Lob über das bereits zwölfte Halbjahr der Belgier im EU-Chefsessel.


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Als Gründungsmitglied hätten sie die Abläufe und Verhandlungstechniken voll im Griff, sagt ein Diplomat. Hinzu kommt, dass die Minister mangels Beschlussfähigkeit auf nationaler Ebene viel Zeit für EU-Angelegenheiten aufwenden konnten. Der mehrfach zurückgetretene Premier Yves Leterme entpuppt sich als kaum sichtbarer Langzeit-Übergangsregierungschef - den öffentlichen Auftritt in Sachen EU übernahm mit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy ein anderer Belgier.

Mit dem EU-Parlament, das durch den Lissabonner Vertrag aufgewertet worden war, konnten sich die Belgier schließlich über die Annahme eines EU-Haushalts für 2011 sowie den Auftakt eines Europäischen Auswärtigen Dienstes und einer neuen Finanzmarktaufsicht ab nächstem Jahr einigen. Als erster Schritt zu einer stärkeren wirtschaftlichen Steuerung nannte der belgische Außenminister Steven Vanackere die Einführung des "Europäischen Semesters". Das schreibt eine EU-Überprüfung der Haushaltsentwürfe der Staaten bereits ab kommenden Frühling vor.

Aufgaben für Ungarn

Einigermaßen überraschend konnten die belgischen Verhandler auch eine Einigung der Mitgliedstaaten auf die Erhöhung der Lkw-Mauten in der EU erzielen. Das Projekt war wegen der ganz unterschiedlichen Interessen der Länder mehr als zwei Jahre blockiert gewesen. Das Transitland Österreich hatte sich zwar noch mehr gewünscht, der Kompromiss erlaubt abseits der Brenner-Strecke allerdings höhere Mauten.

Auch gibt es nach mehr als zehn Jahren Blockade wieder neue Dynamik für ein leistbares EU-Patent - die Mitgliedstaaten gehen einfach ohne Spanien und Italien voran. Die hatten das EU-Patent blockiert, weil Spanisch und Italienisch keine Pflichtsprachen werden sollen. Ebenfalls einigen konnten sich die Länder auf einheitliche Verbraucherrechte für Fernabsatz- und Haustürgeschäfte; strittige Kapitel für die vollständige Harmonisierung der Konsumentenrechte strichen die Belgier wegen Aussichtslosigkeit einfach weg. Einzig beim Ziel eines gemeinsamen EU-Asylsystems haben die Belgier kaum etwas weitergebracht.

Und Vanackere gab den Ungarn, die den EU-Vorsitz am 1. Jänner übernehmen, noch zwei große Brocken mit: Im Kampf gegen Krisen müsse dringend die wirtschaftspolitische Steuerung und die gemeinsame EU-Außenpolitik vorangetrieben werden. Diese seien die zwei großen Schwächen der Union.

Zwischen den beiden Wahlsiegern in Belgien vom Juni zeichnet sich unterdessen weiterhin nicht der Hauch eines Kompromisses ab. Der flämische Separatisten Bart De Wever will weniger Transferleistungen in den armen Süden zahlen und mehr Kompetenzen für die Regionen. Der wallonische Sozialist Elio Di Rupo aber pocht auf finanzielle Solidarität und fordert eine starke Zentralregierung.