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EU-Reformen nach dem Brexit

Von Wolfgang Schmale

Gastkommentare
Wolfgang Schmale ist Professor für Geschichte der Neuzeit und Vizedekan der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Wien. Er ist auch Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und betreibt den Europa- Blog "Mein Europa" (wolfgangschmale.eu).

Europa braucht noch mehr Partizipation der Bürger und Selbstkritik der Politiker.


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Das Brexit-Votum im Vereinigten Königreich hat offenbar die Reformbereitschaft bei den anderen 27 EU-Mitgliedern erhöht. Der Moment scheint günstig, tatsächlich etwas weiterzubringen. Reformen sollten sich auf große Ziele konzentrieren. Die folgenden fünf Ziele sollten dazugehören.

1. Frieden: Die nach 1945 wichtige Idee, Frieden in Europa durch Integration zu schaffen und zu sichern, hat sich bewährt, auch wenn zum Beispiel in der Ostukraine noch die Waffen sprechen.

Im 21. Jahrhundert muss diese Friedensidee erneuert und globaler angelegt werden. Der gemeinsame historische Raum von Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika verlangt nach einer EU, die hierfür eine Friedensstrategie entwickelt und den Willen zeigt, diese zu implementieren. Stabile Staatlichkeit und funktionierende Volkswirtschaften dienen nicht zuletzt auch dem Frieden in Europa selbst.

2. Klimaschutz: Dieser ist der Friedensidee eng verwandt, wir haben nur diese eine Erde, alle zusammen. Sich häufende Unwetter infolge des Klimawandels bringen in jeder Jahreszeit den Tod in Europa hierhin und dorthin. Klimaschutz ist eine Frage von Leben und Tod, zugleich ist sie eine alltagspraktische Frage. Das äußert sich zum Beispiel in technischen Normierungen (Staubsauger, Glühbirne, Abgase etc.). Es ist die Aufgabe der Politik, diesen Zusammenhang zu erklären und zu verteidigen, statt zu sagen, das sei EU-Bürokratie und die müsse weg. Das ist nicht besser als die hohlen Sprüche von Boris Johnson und Nigel Farage. Die beginnende Selbstkritik von Politikern an der mangelhaften Aufrichtigkeit in Bezug auf die Umsetzung der in Brüssel einstimmig gefassten Beschlüsse lässt hoffen.

3. Einführung eines "Europäischen Referendums", um die Partizipation der EU-Bürger zu vergrößern. Vitale Abstimmungsfragen, wie der Austritt aus der EU, sollten EU-weit durchgeführt werden, weil sie alle und nicht nur ein abstimmendes Land betreffen. Dies würde zu echten europaweiten Debatten führen und endlich die europäische Öffentlichkeit hervorbringen, die es noch nicht gibt.

Das Alter sollte auf 16 gesenkt werden, da EU-Fragen immer Zukunftsfragen sind, die die jüngere Generation besonders betreffen. Ebenso sollten die Wahlen zum Europäischen Parlament nicht mehr im nationalen Rahmen, sondern mit europaweit kandidierenden Kandidaten abgehalten werden.

4. Sozialunion: Seit Jahren sagen mehr als 40 Prozent der EU-Bürger laut Eurobarometer, dass eine Sozialunion die Gemeinschaft und Identität in Europa stärken würde. EU-Projekte zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sollten ein "Europäisches Sozialkonto" einführen, um die Sozialunion so konkret wie damals die EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) mit einem kleinen Schritt zu starten.

5. Kultur und Geschichte führen die Liste der Aspekte an, die in der Meinung der EU-Bürger für Europa stehen, an. Hier muss ein neuer Handlungsschwerpunkt entstehen, der auf dieses "gelebte Europa" eingeht.

Alle fünf Punkte sprechen stark Emotionen an - also das, was die EU bisher nicht vermochte.