Zum Hauptinhalt springen

EU-Reformpakete unter Dach und Fach

Von Heike Hausensteiner

Europaarchiv

Diese Woche steht im türkischen Parlament das siebente EU-Reformpaket zur Abstimmung an. Damit soll der politische Einfluss der Armee zurückgedrängt werden. Die Stellung des Militärs ist eine der Achillesfersen der Türkei am Weg in die EU. Hinzu kommen eine mögliche Islamisierung des Landes, wie sie politische Beobachter befürchten, sowie die unzureichende Einhaltung der Menschenrechte.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Im Nationalen Sicherheitsrat sicherte sich bisher das Militär einen beispiellosen Einfluss in der Politik eines Landes, das Mitglied der Europäischen Union werden möchte. Das monatlich tagende Gremium setzt sich aus Vertretern der Armeeführung, der Regierung und dem Staatspräsidenten zusammen. Nach dem Willen der Regierung soll die Leitung des Rates künftig vom Ministerpräsidenten bestimmt werden - und damit ein Zivilist Generalsekretär werden. Bisher war dieser stets ein hochrangiger Offizier. Premier Recep Tayyip Erdogan und die Militärs liefern sich denn auch seit Monaten einen Machtkampf.

Nach dem Wunsch der im vergangenen Herbst gewählten Regierung soll der Sicherheitsrat nur noch alle zwei Monate tagen, zudem sollen die Militärausgaben erstmals vom Rechnungshof überwacht werden. Bisher bekam die Armee aus dem Staatshaushalt, was sie haben wollte. Die Generäle sehen in der geplanten Transparenz der Kostenabrechnung eine mögliche Gefährdung der nationalen Sicherheit, die Rechnungshofkontrolle soll daher vertraulich bleiben.

Mit der Zustimmung des Parlaments zum siebenten Reformpaket, das vergangene Woche von der Regierung abgesegnet wurde, erhofft sich Ankara bessere Chancen auf EU-Beitrittsverhandlungen. Dabei würde das Militär selbst die Reformmaßnahmen mittragen, versuchte der türkische Botschafter in Österreich, Mithat Balkan, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" ein "Missverständnis" aufzuklären: Es sei das Militär gewesen, das der Türkei die Demokratie gebracht habe, verwies er auf den Gründer der Republik vor 80 Jahren, Offizier Mustafa Kemal Atatürk. Bis heute betrachten sich die türkischen Generäle deshalb als Wahrer staatlicher Grundwerte. Allerdings rissen sie auch schon drei Mal durch Staatsstreiche die Macht an sich und drängten die erste islamistische Regierung unter Necmettin Erbakan aus dem Amt.

Das einzige säkular (Staat und Kirche getrennt) organisierte moslemische Land würde auch nur dank des wachsamen Auges des Militärs funktionieren, meinen kritische Beobachter. Eine neuerliche Islamisierung sei aber nicht auszuschließen. Neben dem Militär will auch Staatspräsident Ahmed Necdet Sezer der "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" AKP von gemäßigten Islamisten um den amtierenden Premier Erdogan nicht so recht trauen.

Zu den Problemfeldern zählen neben dem Militär und einer möglichen Islamisierung auch die Menschenrechte. Dass es mit der Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien nicht zum Besten bestellt ist, illustrieren zwei kürzlich gefällte Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg. Wegen des Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention hat Straßburg die Türkei vergangene Woche gleich zweimal verurteilt: Mutmaßliche Anhänger der mittlerweile verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK wurden misshandelt und zum Teil tagelang in Polizeigewahrsam gehalten, ohne einen Anwalt sprechen zu dürfen. In beiden Fällen wurde Ankara zu Schadenersatzzahlungen verurteilt.

In der Zypern-Frage zeichnet sich ebenfalls keine Lösung ab. Im Gegenteil: Der Fortbestand der "Türkischen Republik Nordzypern" sei eine Frage der Ehre, meinte der türkische Volksgruppenführer Rauf Denktas zum Jahrestag der türkischen Invasion am 20. Juli 1974.