Gestiegene Zahl von Asylanträgen vor allem von Angehörigen der Roma.
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Brüssel/Luxemburg. Es war Zufall, dass diese Ereignisse zusammenfielen. Doch bei beiden standen die gleichen Volksgruppen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Roma und Sinti. Als kürzlich in Berlin eine Gedenkstätte für die Ermordeten der NS-Zeit eingeweiht wurde, sprach die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel von der "deutschen und europäischen Aufgabe", Roma und Sinti zu unterstützen, "wo auch immer sie leben". Doch dann entfachte Innenminister Hans-Peter Friedrich erneut die Debatte um die Wiedereinführung der Visapflicht für Menschen aus den Balkanstaaten. Um "Asylmissbrauch" einzudämmen, wie er begründete. Auch dabei geht es vor allem um Sinti und Roma: Aus diesen Gruppen stammen die meisten Asylsuchenden etwa aus Serbien und Mazedonien.
Die Diskussion schwelt bereits auf europäischer Ebene; in Luxemburg fand sie nun bei einem Treffen der Innen- und Justizminister ihre Fortsetzung. Kurz zuvor hatten sechs Länder in einem gemeinsamen Brief die EU-Kommission gedrängt, die Visafreiheit für den Westbalkan zu überprüfen. Deutschland, Frankreich, Schweden, die Niederlande, Belgien und Luxemburg sind es auch, die die Arbeiten an einer Schutzklausel in der Visaverordnung vorantreiben wollen. Die neue Regelung würde es Staaten erlauben, für Bürger einzelner Länder die Visumpflicht für mindestens sechs Monate wieder einzuführen. Österreich unterstützt diese Bemühungen, auch wenn es nach den Aussagen von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner "Gott sei Dank" nicht derart von der Problematik betroffen sei.
EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hingegen betonte die Wichtigkeit der Visa-Liberalisierung. Dennoch müsste der Trend bei den Asylanträgen umgekehrt werden, räumte sie ein. Die Tendenz sei derzeit nämlich steigend. So ist laut Angaben der Kommission die Zahl der Asylwerber aus den Staaten des Westbalkan heuer um drei Viertel höher als im Vorjahr. Der Anteil der Anerkennungen sei aber "mikroskopisch", sagte Malmström.
Warnung vor Hetze
Die absoluten Zahlen jedoch weisen keineswegs auf eine massive Fluchtwelle hin. Heuer stellten bis August an die 4500 Menschen aus den Ländern des Westbalkan einen Antrag in Deutschland, in Schweden waren es fast ebenso viele und in Luxemburg etwas mehr als tausend. Im Vergleich dazu suchten in der Schweiz rund 3000 Serben, Mazedonier, Bosnier, Albaner und Montenegriner um Asyl an. Berlin verweist aber auch auf Zahlen vom September: fast 1400 Anträge von Serben und an die tausend von Mazedoniern.
Für Deutschland sei es "nicht akzeptabel, dass wir mittlerweile doppelt so viele Asylbewerber aus Serbien haben im Vergleich zu Menschen aus Afghanistan", erklärte denn auch Innenstaatssekretär Ole Schröder in Luxemburg. Daher gibt es in Berlin neben dem Ruf nach Aufhebung der Visafreiheit auch Überlegungen zu schnelleren Entscheidungen bei Asylverfahren oder zur Kürzung von Finanzhilfen.
Das ruft Protest bei deutschen Flüchtlingsorganisationen hervor. So hat sich Pro Asyl gegen Sonderverfahren für Serben oder Mazedonier ausgesprochen. Die "unvoreingenommene Prüfung eines jeden Einzelfalls" sei ein zentrales Element bei Asylverfahren. Roma-Organisationen wiederum warnen vor einer Hetze gegen die Volksgruppe.
Dass diese Minderheit, der in Europa an die 20 Millionen Menschen angehören, in etlichen Ländern noch immer Diskriminierungen ausgesetzt ist, belegen etwa Studien der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz. In Ländern, wo die Arbeitslosenrate sowieso hoch ist - wie in Serbien -, sind die Jobaussichten von Roma noch schlechter als die anderer Einwohner. Benachteiligungen gibt es auch im Bildungs- und Wohnbereich.
Die EU-Kommission drängt daher die Mitglied-, aber auch die Kandidatenstaaten dazu, nationale Strategien zur Aufwertung der Lebenssituation von Roma und Sinti zu entwickeln und umzusetzen. Doch musste sie vor kurzem feststellen, dass es kaum Fortschritte gibt - auch wenn die rechtlichen Regelungen mittlerweile stark verbessert wurden.
Die jüngste Debatte um Visa und Asyl fällt mit einer anderen zusammen: Die EU-Staaten mühen sich derzeit, ein gemeinsames Asylsystem zu etablieren. Auf Teile davon haben sie sich bereits verständigt, wie etwa Regeln zur Aufnahme. Österreich war dabei unter anderem wichtig, dass die Beschränkungen für Asylwerber auf dem Arbeitsmarkt bestehen bleiben. Andere Bestimmungen, etwa zu Asylverfahren, müssen allerdings noch festgelegt werden. Bis Jahresende soll es zumindest eine politische Einigung geben.