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EU: "Rote Linien" für Nachbarschaftsverträge

Von Manfred Scheich

Gastkommentare

Die EU verharrt derzeit in Wartestellung. Das Europaparlament ist gewählt, die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags wird erhofft, in den Kulissen geht viel politische Energie in die Vorbereitung kommender Personalentscheidungen. Auch die Diskussion über künftige EU-Erweiterungen ist verebbt. Doch die Antwort auf diese Frage wird wesentlich darüber entscheiden, ob die bereits heute so heterogene EU der 27 die sachlichen Herausforderungen bewältigen wird: den Aufbau eine Wirtschaftsunion als langfristig unerlässliche Ergänzung der Währungsunion, Energiepolitik, Migration und die Entwicklung gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik.


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Sicherlich, das Bewusstsein ist gewachsen, dass Mitgliedschaft nicht mehr das - zumindest einzige - Mittel zur Stabilisierung des Umfeldes sein kann, will man nicht die Handlungsfähigkeit der EU aufs Spiel setzen. Nachbarschaftsarrangements unter der Schwelle der Mitgliedschaft bieten die Alternative. Es ist nicht zu früh, auch hiefür "rote Linien" zu etablieren, will man nicht vom Regen in die Traufe fallen.

Der sachliche Inhalt solcher Verträge ist einsehbar: Sie öffnen den Partnern - Einzelstaaten wie Regionen - die Teilnahme an Einzelbereichen der EU-Integration wie dem Binnenmarkt; sie sind auf Basis der beidseitigen, ausbalancierten Interessen maßgeschneidert und dürfen keine Automatik in Richtung Mitgliedschaft enthalten.

Das größte politische Problem wird in der Gestaltung ihres institutionellen Rahmens liegen. Zwei widersprüchliche Interessenlagen prallen aufeinander: einerseits die Wahrung der Entscheidungsautonomie der EU, andererseits das Bestreben des Partners, mitbestimmenden Einfluss auf die Gestaltung jener Sachbereiche zu gewinnen, die der Zusammenarbeit unterliegen.

Vergessen wir nicht: Die Unterminierung der Entscheidungsautonomie der Union würde genau zu jener Lage führen, die durch das Mittel von Nachbarschaftsverträgen anstelle eines Beitrittes vermieden werden soll, nämlich die weitere Schwächung des inneren Zusammenhaltes der Union und ihrer Handlungsfähigkeit. Unerlässlich wird es sein, dass die EU in den Nachbarschaftsorganen - die von den EU-Institutionen strikt getrennt bleiben müssen - gegenüber dem Partner grundsätzlich mit einer Stimme spricht.

Für eine Grundsatzdiskussion darüber, wie die Union in einem künftigen Netzwerk von individuellen und regionalen Nachbarschaftsarrangements ihre Entscheidungsautonomie und "Persönlichkeit" wahren kann, ist es höchst an der Zeit. Ein bloß pragmatisches Vorgehen der Union und ihrer politischen Akteure in dieser Frage - was politisch natürlich am leichtesten wäre - kann riskant werden und die EU, wie schon gesagt, vom Regen in die Traufe stürzen.

Manfred Scheich war von 1995 bis 1999 Ständiger Vertreter Österreichs bei der EU in Brüssel und ist Lehrbeauftragter für

Europapolitik an der Universität Innsbruck sowie Berater des österreichischen Instituts für Europa- und Sicherheitspolitik.