Bericht der Kommission: Keine Annäherung Ankara-Nikosia. | Gesprächen mit der Türkei droht völlige Blockade. | Brüssel. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nähern sich zunehmend einem toten Punkt. Zwar gehen die Gespräche schon bisher "ziemlich langsam" voran, wie es in einem Entwurf des jährlichen Fortschrittsberichts der EU-Kommission heißt. Beunruhigend ist aber vor allem, dass es "keinen Fortschritt in Richtung einer Normalisierung der Beziehungen zur Republik Zypern" gegeben habe. | Um Druck auf die Türkei auszuüben, müssen wir fair sein
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Daher müsse Ankara dringend seine Verpflichtungen erfüllen und die nicht-diskriminierende Umsetzung der Zollunion mit der EU gewährleisten, warnt die Kommission in dem Dokument, das der "Wiener Zeitung" vorliegt. Aus der Diplomatensprache übersetzt bedeutet das vor allem, dass die Türkei endlich ihre Häfen und Flughäfen für zypriotische Schiffe und Flugzeuge öffnen muss, wie sie es vor Beginn der Beitrittsgespräche vor gut fünf Jahren versprochen hat.
Streit um Öl und Handel
Weil sich Ankara bisher vehement weigert, dieser EU-Forderung zu entsprechen und das EU-Land Zypern anzuerkennen, hat die Union acht zentrale Bereiche der Verhandlungen eingefroren. Kein einziges Kapitel darf bis zum türkischen Einlenken abgeschlossen werden, darüber hinaus blockieren Nikosia und Paris einige weitere Bereiche.
Behalten die Gespräche also ihr bisheriges Tempo bei und es wird weiterhin gegen Ende der jeweils sechs Monate dauernden EU-Vorsitze gerade noch ein einziges Verhandlungskapitel eröffnet, ist Ende 2011 Schluss. Denn bloß drei Bereiche bleiben überhaupt noch zur formellen Bearbeitung übrig. "Wettbewerbsfähigkeit" könnte eventuell noch unter dem laufenden belgischen EU-Vorsitz im Dezember aufgegriffen werden. Und dem "Öffentlichen Auftragswesen" sowie der "Sozialpolitik" solle die Türkei "besondere Priorität" einräumen, heißt es in dem Kommissionsdokument diplomatischerweise.
Denn schon beim Energiekapitel, dass Österreich mit dem wichtigen Gastransitland durchaus gerne eröffnen würde - nicht zuletzt wegen der Pipeline Nabucco -, sperren sich die Zyprioten. Denn die wollen in ihren Hoheitsgewässern nach Öl bohren, was ihnen die Türkei mit der Begründung verbietet, dass der Meeresboden zum türkischen Festlandsockel gehöre.
Solche Manöver gehören wie das Beharren Ankaras auf direkte EU-Handelsbeziehungen mit der "Türkischen Republik Nordzypern", die von niemandem sonst anerkannt wird, seit Jahren zum Standardrepertoire in der verfahrenen Auseinandersetzung. Wegen des schwindenden Spielraums bei den Beitrittsverhandlungen steigt aber die Brisanz der dringenden Mahnung aus Brüssel. Ein Patt mit Zypern bedeutete für die Türkei ein Ende der Gespräche nach 15 eröffneten und einem vorläufig geschlossenen Kapitel in gut einem Jahr - 35 wären es bis zum Beitritt.
Doch erwarten EU-Diplomaten zumindest bis zu den türkischen Parlamentswahlen im nächsten Sommer kein besonderes Entgegenkommen der Regierung in Ankara. Diese Einschätzung erstreckt sich auch etwa auf die "nur begrenzten Ergebnisse" bei der "demokratischen Öffnung gegenüber den Kurden", wie es im Berichtsentwurf heißt.
Schwache Grundrechte
Die Sicherheitssituation im Südosten des Landes habe sich sogar verschlechtert. Trotz einiger Reformen werden weiterhin grobe Mängel bei den Grundrechten wie Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit sowie den Rechten von Frauen und Gewerkschaften attestiert. Positiv werden Verfassungsänderungen hervorgestrichen, die etwa die Handhabe der Militärgerichte über Zivilisten eingeschränkt haben.
Beliebt sind trotz der mehr als schwierigen Lage nach wie vor Schätzspiele über den möglichen Beitrittszeitpunkt der Türkei: Optimisten in Ankara rechnen mit 2028, Spezialisten in Brüssel tippen eher auf 2040 und Politiker in Wien distanzieren sich überhaupt davon, dass es jemals soweit kommt.