Dänemark hat bei Sicherheit stets auf die Nato gezählt. Jetzt soll die Kooperation auf EU-Ebene vertieft werden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Europäische Union war noch ganz jung, schon stürzte sie in ihre erste Krise. Ihr großer Stolz, der Vertrag von Maastricht, fiel in Dänemark durch. Nur 49,3 Prozent der Bürger votierten bei der Volksabstimmung am 2. Juni 1992 für das Vertragswerk. Bei den Nachverhandlungen setzte die Regierung in Kopenhagen vier Ausnahmen durch, die in einem weiteren Volksvotum goutiert wurden. Der bekannteste Sonderweg betrifft die Währungspolitik. Trotz Erfüllung aller Euro-Kriterien hält das Königreich an der Krone fest. In Rechts- und Justizangelegenheiten hat sich Dänemark ebenso Sonderrechte vorbehalten wie bei Unionsbürgerschaften.
Fast auf den Tag genau 30 Jahre nach der Maastricht-Abstimmung stimmen die Dänen am heutigen Mittwoch über die Abschaffung des vierten Sonderrechts ab, dem sogenannten Verteidigungsvorbehalt. Bei der EU-Zusammenarbeit im Sicherheits- und Verteidigungsbereich darf Dänemark nämlich nur an zivilen Missionen und Operationen der Union teilnehmen, nicht aber an militärischen - zum Beispiel bei der Friedenssicherung in Bosnien-Herzegowina, der Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen und der Bekämpfung von Seepiraten in Somalia.
Ebenfalls nicht im Bunde ist Dänemark, wenn es um die bessere Koordinierung der Unionsländer bei ihren Verteidigungsausgaben und die Entwicklung von gemeinsamen Waffensystemen geht. In der EU-Verteidigungsagentur ist das skandinavische Land ebenso außen vor wie bei Pecso. Hierbei geht es um gemeinsame Projekte, bei denen sich zumindest zwei Unionsstaaten zusammenschließen müssen. Von einem "Game Changer" in der Geschichte der europäischen Verteidigungskooperation" schreibt das Österreichische Institut für Internationale Politik in einem Diskussionspapier.
Die dänische Skepsis vor engerer Militärkooperation speist sich aus der schwammigen Formulierung im Maastrichter Vertragswerk. Demnach könnte die gemeinsame Verteidigungspolitik zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen. Ein EU-Heer wäre damit zumindest nicht ausgeschlossen. Dänemark aber zählt zu den Gründungsmitgliedern der Nato, 1949, und begegnet möglicher Konkurrenz des transatlantischen Bündnisses - etwa durch Frankreichs Ambitionen - mit großer Skepsis.
Abkehr binnen eineinhalb Wochen
Der Krieg in der Ukraine sorgt aber auch in diesem Fall für ein Umdenken jahrzehntelanger Positionen. "Es gab ein Europa vor Putins Krieg in der Ukraine. Und es gibt ein Europa danach", sagt Premierministerin Mette Frederiksen. Nur eineinhalb Wochen nach Beginn des Angriffskriegs Russlands unterzeichnete die sozialdemokratische Regierungschefin einen nationalen Kompromiss zur Sicherheitspolitik. Dieser beinhaltet auch die Volksabstimmung zur Abschaffung des Verteidigungsvorbehalts. Neben zwei Parteien, welche Frederiksens Minderheitsregierung stützen, werben auch die beiden größten Oppositionsparteien aus dem Mitte-rechts-Lager für die Volksabstimmung.
"Mit ganzem Herzen" will die Premierministerin in die europäische Verteidigungs- und Sicherheitszusammenarbeit einsteigen. Sie wolle "Verantwortung für die Sicherheit" übernehmen. Die 44-Jährige will das Land in puncto Allianzen breiter aufstellen: "Kooperation, nicht Einsamkeit, ist unsere stärkste Waffe gegen Putin." Dänemarks Position innerhalb der Nato soll aber mitnichten geschwächt werden. Die Regierung nimmt sich vor, in Einklang mit den Bündnis-Zielen zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts jährlich für Verteidigungsausgaben bereitzustellen - und zwar bereits 2023.
Dänemarks Schwenk lässt sich auch auf die großen Veränderungen in der Region zurückführen: Der Kanzler von Nachbar Deutschland, Olaf Scholz, hat die "Zeitenwende" ausgerufen, der Bundeswehr 100 Extra-Milliarden zugesagt und strebt ebenfalls das Zwei-Prozent-Ziel an. Schweden, über das Dänemark mit der Öresund-Brücke zwischen Kopenhagen und Malmö verbunden ist, möchte der Nato ebenso beitreten wie Finnland. Dagegen opponiert derzeit der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, endgültig ist das Nein allerdings nicht.
Ideen werden bereits ventiliert. Von gemeinsamen friedensbewahrenden EU-Missionen Dänemarks mit Schweden und Finnland spricht der sozialdemokratische Abgeordnete Benny Engelbrecht gegenüber der dänischen Online-Zeitung "Der Nordschleswiger": "Russland benimmt sich in vielfacher Hinsicht aggressiv. An vielen Orten in Afrika ist das Regime engagiert und versucht, Staaten zu destabilisieren. Ziel ist es, Frieden und Demokratie zu untergraben sowie neue Migrantenströme Richtung Europa auszulösen." EU-Missionen seien daher wichtig für die Sicherheit Europas und Dänemarks.
Unter den Parlamentsparteien sind nur Gruppierungen am linken und rechten Rand gegen die Abschaffung des Verteidigungsvorbehalts. Auch die Bürger tendieren zur Neuausrichtung, allerdings ist ein Fünftel der Wähler noch unentschlossen. Und die Vergangenheit hat gezeigt, wie gut die Dänen für Überraschungen an den Urnen sind.