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EU-Speiseplan bietet schwere Kost für nationale Regierungen

Von Reinhard Göweil aus Brüssel

Politik

EU-Kommission legt in Kürze Arbeitsprogramm 2015 vor - EU-Regeln werden "durchforstet", Doppelbesteuerungsabkommen soll es an den Kragen gehen.


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Brüssel. Am Dienstag feiert EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seinen 60. Geburtstag, am Montag wird er dem "informellen Koalitionsausschuss" mit dem Europa-Parlament sein Arbeitsprogramm für 2015 vorlegen. Das Gremium besteht aus Juncker, seinem Vize Frans Timmermans, Parlamentspräsident Martin Schulz und den Chefs der großen Fraktionen. Und dieses Arbeitsprogramm wird und muss Auswirkungen auf alle 500 Millionen Bürger der EU haben - so lautet das Ziel der neuen und politischeren Kommission. Drei dieser Ziele haben es in sich: Entbürokratisierung, Steuerharmonisierung und Ankurbelung der schwachen Konjunktur.

Anreize statt Verbote

Ersteres nennt sich "Refit", ein an und für sich bestehendes Programm zur Durchforstung der EU-Vorschriften. "Mein Traum ist es, dass es in ein paar Jahren weniger administrativen Druck auf die kleineren Unternehmen gibt", sagte Vizepräsident Frans Timmermans. "Wir wollen den Mittelstand von Europa überzeugen. Wenn uns das nicht gelingt, bekommt Europa ein großes Problem." Vorschriften wie nicht-wiederbefüllbare Olivenölfläschchen oder der Stromverbrauch von Staubsaugern sollen der Vergangenheit angehören. "Verbote bringen nichts", ist aus dem Europa-Parlament zu hören. "Es wird künftig in Richtung Anreizsysteme gehen, das ist viel sympathischer und bringt mehr", sagte der konservative EU-Abgeordnete Paul Rübig.

"Es geht in Richtung europäische Regierung, in dieser Kommission sind keine Bürokraten und Diplomaten", ist aus dem Fraktionsbüro der Christdemokraten zu hören. Ein Punkt in diesem "Refit-Programm" soll allerdings die Änderung der EU-Arbeitszeitrichtlinie sein. Und hier sind die Sozialdemokraten hellhörig, denn eine weitere Flexibilisierung wollen sie nicht zulassen. Um die Richtlinie wird seit Jahren gestritten, sie sieht eine tägliche Höchstarbeitszeit von elf Stunden vor. Unternehmen fordern eine weitere Flexibilisierung, die Gewerkschaften lehnen das ab.

Die Abschaffung von EU-Regulierungen wird auch in den 28 Mitgliedsstaaten einiges an Arbeit auslösen. Denn EU-Regeln sind in nationales Recht übernommen worden, sie müssen auch in den nationalen Parlamenten aufgelöst werden. Und da hinter jeder Regelung eine Interessensgruppe steckt, sind Diskussionen vorprogrammiert.

Steuerpolitik auf EU-Ebene

Trotzdem ist diese Entbürokratisierung ein Wohlfühl-Thema im Vergleich zu dem, was sich die Kommission im Steuerbereich vornimmt. Nach den "LuxLeaks"-Enthüllungen um massive Steuervorteile für Großkonzerne in Luxemburg soll es diesen Steuerzuckerln nun an den Kragen gehen. Kommission und Parlament liefern sich dabei ein Wettrennen. Der deutsche Sozialdemokrat Udo Bullmann und der österreichische Christdemokrat Othmar Karas werden einen Sonderbericht dazu vorlegen. Allerdings wird auch die Kommission 2015 einen Arbeitsschwerpunkt darauf legen. Timmermans: "22 EU-Mitgliedsstaaten nutzen solche Steuer-Vereinbarungen mit Unternehmen. Transparenz wird nicht schaden, denn Großunternehmen sollten Steuern dort zahlen, wo sie das Geld verdienen."

Genau da wird es ziemlich kompliziert. Denn zum Steuerharmonisierungs-Schwerpunkt der EU gehört es, die innerhalb der EU-Staaten bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen auszuhebeln. Mehr als 300 solcher bilateraler Verträge gibt es. Sie sollen eigentlich verhindern, dass in mehreren Staaten erwirtschaftete Einkünfte von jedem Land besteuert werden. Findige Steuerberatungskanzleien haben daraus allerdings ein System der Steuervermeidung gemacht, im Verein mit konzilianten Steuerbehörden. Der kürzeste Weg zur Steuergerechtigkeit wäre es, die bilateralen Steuerabkommen in der EU in eine - für alle gültige - EU-Richtlinie zusammenzufassen. Dazu ist allerdings die Zustimmung des Europäischen Rates, also aller 28 Mitgliedsländer, notwendig. Und bei Steuerfragen gilt Einstimmigkeit - wenn ein EU-Land dagegen ist, passiert gar nichts.

"Wir müssen das Momentum von LuxLeaks nutzen", sagte Manfred Weber, Fraktionschef der EVP. "Die Menschen sind mit Recht empört, dass es sich Großkonzerne richten können." Und er wartet mit einem drastischen Beispiel auf: "Das Steuerrecht ist im Moment so organisiert, wie Le Pen und Strache Europa wollen - ausschließlich national. Da zeigt sich, dass eine solche Politik keine Probleme löst."

Da das Arbeitsprogramm der EU-Kommission mit dem Europäischen Rat abgestimmt wird, würde eine Ablehnung der Mitgliedsstaaten auf nur geringes Verständnis stoßen. Das Europaparlament jedenfalls ist fraktionsübergreifend entschlossen, diese Doppelbesteuerungsabkommen zu Fall zu bringen. Sie wurden schon 2011 in einem Bericht der Kommission als schädlich für die Vollendung des Binnenmarktes gebrandmarkt.

Datenaustausch für Konzerne

Sollte dies gelingen, wäre es eine Revolution, dann würde erstmals Steuerrecht von nationaler auf EU-Ebene transferiert. Othmar Karas sagte es ganz deutlich: "Ich erwarte mir die Geburtsstunde der europäischen Steuerpolitik."

Jedenfalls kommen soll ein automatischer Datenaustausch zwischen den 28 Finanzbehörden auch auf Unternehmensebene. Das gibt es nun bei Privatpersonen, um Steuerbetrug zu vermeiden - und soll ausgedehnt werden. Dadurch wird klar, wie viel Umsatz grenzüberschreitend tätige Konzerne im jeweiligen Land machen.

Und auch die seit den frühen 2000er Jahren in der EU debattierte Harmonisierung der Bemessungsgrundlage der Unternehmensbesteuerung steht 2015 am Speisezettel der EU-Kommission.

"Wir reden von der Aufrechterhaltung der sozialen Systeme in der EU und der gerechten Verteilung der Lasten dafür", sagte Timmermans. Die Kommission schätzt, dass durch legale und illegale "Steuervermeidung" den Ländern etwa 1000 Milliarden Euro entgehen.

Investitionsfonds

Dritter großer Punkt der EU-Kommission ist das bereits vorgelegte Investitionspaket im Ausmaß von wenigstens 315 Milliarden Euro. Frans Timmermans, Sozialdemokrat und "starker Mann" in der Kommission, die sich selbst als europäische Regierung sieht, verteidigt das Paket vehement. "Wir werden bis März die Projekte dafür definiert haben." Timmermans ist überzeugt, dass es genügend Investitionsbedarf gibt sowie ausreichend privates Kapital. Aber auch EU-Staaten und deren öffentliche Körperschaften sind eingeladen, an dem dazu geplanten Investitions-Fonds mitzuwirken und sich so ein Projekt zu sichern. "Die Beiträge in den Fonds werden dem Defizit des jeweiligen Landes nicht angerechnet."

Das Interesse von privaten Geldgebern, auch aus Übersee, ist sehr groß, erklärt Timmermans. So müssen beispielsweise Banken, die bei der Europäischen Zentralbank (EZB) Geld hinterlegen, Strafzinsen bezahlen. Geschäftsbanken in Deutschland haben bereits begonnen, diese negativen Zinsen an Großanleger weiterzugeben, andere Länder werden folgen. Es geht dabei um hunderte Millionen Euro. Ein Teil dieses Geldes könnte wohl in den von Juncker präsentierten Investitionsfonds fließen, der eine bessere Verzinsung verspricht.

Der Delegationsleiter der ÖVP im Europaparlament, Othmar Karas, ist ebenfalls überzeugt, dass "Investoren an europäischen Projekten interessiert sind".

Karas verweist allerdings auch auf die Doppelzüngigkeit der Mitgliedsstaaten. Sie sind zwar für jede Möglichkeit, die schwache Konjunktur anzukurbeln, stehen beim EU-Budget 2015 aber auf der Bremse. Mitte Dezember soll der Streit aber beigelegt werden.

Bei der Energieunion steht die Energiesicherheit im Vordergrund, zudem will die EU-Kommission die grenzüberschreitende Arbeitskräfte-Mobilität erleichtern - und ach, ja: Das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP, soll endverhandelt werden und zu Jahresende 2015 fertig sein. Auch keine Kleinigkeit.