Erst zwei Stunden nach der Verlautbarung der offiziellen Hochrechnung reagierten die europäischen Spitzen. Da man annehmen kann, dass sie vorab informiert waren, zeigt die lange Nachdenkzeit, wie schockiert Barroso, Juncker & Co von dem Ergebnis waren. Über konkrete Schritte sprachen sie denn auch nicht.
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Für den amtierenden EU-Ratsvorsitzenden Juncker ist "der Vertrag nicht tot", sagte er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit am Sonntagabend in Brüssel. Der Ratifikationsprozess muss weitergehen in den anderen Mitgliedstaaten", sagte der EU-Ratspräsident. Er kündigte an, dass sich der nächste EU-Gipfel am 16./17. Juni mit dem negativen Ergebnis in Frankreich auseinander setzen wird.
EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso sagte in einer gemeinsamen Erklärung mit Juncker und EU-Parlamentspräsident Josep Borrell, man nehme die Entscheidung in Frankreich zur Kenntnis und bedauere sie. "Wir respektieren voll und ganz ein demokratisches Votum", betonte er. "Das Problem ist: Es gibt ein Nein in einem sehr wichtigen Land in Europa und wir müssen einen Ausweg finden."
Niederlande: Zweckoptimismus
Der niederländische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende sieht in der Ablehnung der EU-Verfassung durch die französischen Wähler keinen Anlass zum Pessimismus für das niederländische EU-Referendum an diesem Mittwoch. "Jedes Land ist selbst verantwortlich", meinte der Regierungschef. "Dies ist nur ein weiterer Grund, um am Mittwoch mit ja zu entscheiden." Der Ratifizierungsprozess gehe auf jeden Fall weiter.
Umfragen der jüngsten Zeit deuteten darauf hin, dass auch in den Niederlanden die Ablehnung bei den Wählern überwiegen könnte. 54 Prozent der Abstimmungswilligen Niederländer sollen danach die Verfassung ablehnen.
Großbritannien: Nachdenkphase
Das Nein der Franzosen zur EU-Verfassung wirft nach Worten von Großbritanniens Außenminister Jack Straw "tiefgreifende Fragen" über die Zukunft der Europäischen Union auf. Die Richtung der Union müsse überdacht werden, sagte Straw. "Was wir nun wollen, ist eine Phase des Nachdenkens."
Beobachter halten es für möglich, dass Großbritannien nach dem Nein der Franzosen das innenpolitisch schwierige Referendum über die Verfassung absagt.
Spanien: Weiter ratifizieren
Der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero will die Ratifizierung des Vertragswerks fortzusetzen. Der Prozess müsse weitergehen, sagte ein Sprecher des Regierungschefs, das Resultat des Referendums sei "keine gute Nachricht, aber auch keine Katastrophe". Die innenpolitischen Probleme Frankreichs hätten "unglücklicherweise die Abstimmung beeinflusst".
Die Spanier hatten im Februar bei einem Referendum mit fast 77 Prozent für den Verfassungstext gestimmt.
Deutschland: Weitermachen
Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder sieht das Nein nicht als Ende für die Bemühungen um die erste europäische Verfassung und auch nicht das Ende der deutsch-französischen Partnerschaft in und für Europa. Diese Einschätzung teile auch Frankreichs Präsident Jacques Chirac, mit dem er bereits telefoniert habe. Der Ratifizierungsprozess müsse weitergehen. Deutschland werde sich weiter für die Verfassung einsetzen.
Der deutsche Außenminister Joschka Fischer sieht "große Herausforderungen" für Europa. Bisher hätten neun EU-Mitgliedsstaaten die Verfassung ratifiziert; in vielen anderen Mitgliedstaaten habe dieser Prozess bereits begonnen, sagte Fischer. "Ich gehe davon aus, dass diese auch zu Ende geführt werden."