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EU storniert Treffen mit Janukowitsch

Von Gerhard Lechner

Europaarchiv

Geplanter Besuch in Brüssel verschoben: "Wollen Fortschritte sehen."


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Kiew/Brüssel. Das harte Urteil gegen die frühere ukrainische Premierministerin Julia Timoschenko hat erste konkrete Folgen für Präsident Wiktor Janukowitsch: Die EU-Kommission sagte einen für Donnerstag geplanten Besuch des Staatschefs der Ukraine in Brüssel ab. Die Visite solle erst dann stattfinden, wenn "die Bedingungen günstiger sind für einen Fortschritt in unseren Beziehungen", sagte eine Sprecherin der Kommission. Timoschenko war vor einer Woche in Kiew wegen angeblicher Kompetenzüberschreitungen beim Aushandeln eines Gasvertrags mit Russland zu sieben Jahren unbedingter Haft verurteilt worden. Das Urteil wurde von der EU und Russland einhellig missbilligt.

Während Moskau sich vor allem daran stößt, dass Kiew mit dem Richterspruch die Rechtmäßigkeit der bestehenden Gasverträge infrage stellt, vermuten viele in der EU, dass sich der Präsident mit dem umstrittenen Prozess seine härteste politische Rivalin vom Hals schaffen wollte. Außerdem gelten einige Oligarchen aus dem Umfeld Janukowitschs, etwa der im Gasgeschäft tätige Dmytro Firtasch, als erbitterte Gegner Timoschenkos. Das Vorgehen der ukrainischen Justiz gegen die Ikone der Orangen Revolution von 2004 torpediert die schon weit gediehenen Verhandlungen um ein Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU. "Wir wollen Fortschritte sehen in Bereichen, die im Zentrum unserer östlichen Partnerschaft stehen, wie Rechtswesen, Anwendung von Recht und der Unabhängigkeit der Justiz", mahnte eine Sprecherin von EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso am Dienstag. Die 2009 begründete östliche Partnerschaft dient der Heranführung von EU-Nachbarstaaten an die Union. Dabei wird die Möglichkeit eines EU-Beitritts jedenfalls nicht ausgeschlossen.

Oligarchen fürchten Russen

Janukowitsch hat die EU-Integration stets als erklärtes Ziel bezeichnet - was sich laut Beobachtern auch mit den Interessen der ihn unterstützenden Oligarchen deckt, die eine erneute Anbindung an Russland fürchten: Die vergleichsweise kleinen ukrainischen Oligarchen, die in der EU auch Exportchancen sehen, wären dann nämlich dem Druck der mächtigeren russischen Konzernherren schutzlos ausgesetzt.

Auch deshalb sprachen Kiewer Politologen schon länger von einer möglichen Pardonierung Timoschenkos in dem laufenden Fall. Durch eine Änderung der Strafprozessordnung könnte die Oppositionspolitikerin im Berufungsverfahren freikommen - möglicherweise schon nächste Woche. "Das Strafgesetz stammt ja noch aus der Zeit Stalins und wurde von Chruschtschow bloß novelliert", sagt SPÖ-Europapolitiker Hannes Swoboda, der in Kiew am Montag die Fraktionsvorsitzenden der regierenden Partei der Regionen (PR) und der Timoschenko-Partei "Vaterland" mit Müh und Not an einen Tisch brachte. Laut Swoboda sieht es freilich "absolut nicht" so aus, als wäre die Freilassung Timoschenkos schon paktiert. "In der PR gibt es leider noch nicht die Bereitschaft dazu", sagte der stellvertretende Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament der "Wiener Zeitung".