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EU stresst ab 1. Juni AKW-Betreiber

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Einigung auf strenge Testkriterien. | Umweltminister Berlakovich froh, Grüne weniger. | Brüssel. Fast zwei Wochen später als geplant hat sich Energiekommissar Günther Oettinger mit dem Verband der 27 EU-Atomaufsichtsbehörden (Ensreg) auf die Kriterien für AKW-Stresstests geeinigt. Diese starten am 1. Juni, erklärte er am Mittwoch. Als Konsequenz der verheerenden nuklearen Katastrophe in Fukushima sollen alle 143 europäischen Meiler strengen Sicherheitsüberprüfungen unterzogen werden. Österreichs Umweltminister Nikolaus Berlakovich, der ursprünglich die Idee der Stresstests aufgebracht hatte, sprach von einem "vollen Erfolg" und einem "neuen Zeitalter des Nuklearsicherheitssystems".


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Strittig waren zuletzt noch die Einbeziehung von Terroranschlägen und menschlichem Versagen gewesen, welche Oettinger unbedingt durchsetzen wollte. Vor allem die Regulatoren aus Großbritannien, Frankreich und Tschechien haben sich offenbar dagegengestemmt. Der Kompromiss: Anschläge als solche werden nicht Bestandteil der Tests, sehr wohl aber die möglichen Auswirkungen. Explosionen, Flugzeugabstürze oder Kollisionen mit Öl- oder Gastankern bei AKW in Küstenlage sind wie andere Folgen von möglichen menschlichen Fehlern ausdrücklich einbezogen. Ob es sich um Unfälle oder beabsichtigte Terrorakte handle, sei für die Konsequenzen schließlich einerlei, argumentiert die Kommission.

Tests in drei Phasen

Terrorismus könne deshalb nicht berücksichtigt werden, weil es sich dabei in vielen Staaten um Angelegenheiten der nationalen Sicherheit handle, sagte Oettinger. Diese seien für die Veröffentlichung der Testergebnisse nicht geeignet. Eine Arbeitsgruppe verschiedener Sicherheitsexperten soll jedoch den Schutz von Reaktoren gegen Terroristen verfeinern. Bekannt sind etwa bereits Nebelanlagen, welche französische AKW in dichten Nebel hüllen, sobald sich ein Flugzeug nähert.

Unstrittig war bereits seit längerem, dass die EU-Reaktoren nach dem japanischen Trauma auf ihre Widerstandsfähigkeit gegen Naturkatastrophen und deren Verkettung überprüft werden sollen. Erdbeben, Fluten, extreme Hitze und Kälte, Schnee, Eis, Stürme sowie heftigen Regen schreibt Oettinger den Aufsichtsbehörden ins Merkheft. Ein besonderer Fokus gilt unabhängig von der Unglücksursache der Strom- und Notstromversorgung, ohne die die Brennstäbe nicht mehr gekühlt werden können. Zudem soll die Haltbarkeit der Schutzhülle unter die Lupe genommen werden. Die Meiler in Fukushima hatten zuerst ein Erdbeben der Stärke 8,9 auf der Richterskala überstanden. Der nachfolgende Tsunami hatte jedoch die Stromversorgung weggespült und so für die schlimmste Atomkatastrophe sei Tschernobyl 1986 gesorgt.

Die Stresstests sollen in drei Phasen ablaufen: Erstens müssten die Kraftwerksbetreiber selbst einen ausführlichen Fragebogen auf Basis einer "außerordentlichen Sonderprüfung" ausfüllen. Zweitens überprüfen die nationalen Atomsicherheitsbehörden in den 14 Ländern mit AKW bis Ende des Jahres die Berichte der Betreiber. Und drittens soll eine internationale Expertengruppe aus EU-Kommission und wechselnden Ensreg-Mitgliedern die Testergebnisse auswerten.

Auch Lokalaugenscheine sind ausdrücklich erlaubt. "Wir kontrollieren europäisch die Kontrolleure", sagte Oettinger. Die Ergebnisse sollen lückenlos veröffentlicht werden. Den Mitgliedstaaten obliegt es, die Konsequenzen bei Nicht-Erfüllung der Kriterien zu ziehen. Die Kommission empfiehlt Nachrüstung oder Schließung.

Nicht überzeugen konnte sie mit dem Verhandlungsergebnis die Grünen und Umweltschützer: Es handle sich um eine "bewusste Irreführung der Bevölkerung", meinte Bundessprecherin Eva Glawischnig. Es bestehe die Gefahr, dass sich die AKW-Betreiber selbst Persil-Scheine ausstellten. Bei den Stresstests würde "der Bock zum Gärtner gemacht", monierte auch Global 2000.