Warschaus Haltung ist Knackpunkt beim EU-Gipfel. | Alles-oder-Nichts-Haltung verhindert Perspektive. | Strassburg. Die Uhr tickt, das entscheidende Gipfeltreffen für die Rettung der EU-Reform beginnt morgen, Donnerstag. Noch einmal steckten der polnische Premier Jaroslaw Kaczynski und sein britischer Kollege Tony Blair am Dienstag ihre Positionen ab. Blair bekräftigte die Forderungen Londons: Kein Rechtsverbindlichkeit für die Grundrechtecharta, Veto-Recht bei Sicherheits- und Justizkooperation sowie Steuerpolitik und Unabhängigkeit in der Außenpolitik.
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Doch nur die von Kaczynski erneut bestätigte unbewegliche Haltung Polens in seinem Wunsch nach dem Quadratwurzelsystem für die Stimmenverteilung in künftigen EU-Entscheidungen stelle den einzig wirklichen Unsicherheitsfaktor dar, sagte der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok. Dass er Gipfel wegen dieser Frage scheitere, glaube er aber nicht. Immerhin gebe es für die Probleme mit Großbritannien "Lösungen oder sich anbahnende Lösungen", sagte der Vertraute der deutschen Bundeskanzlerin und amtierenden EU-Vorsitzenden Angela Merkel.
Die Motivation Polens resultiere aus dem von den Kaczynski-Brüdern gesehenen Verhältnis zu Deutschland. Das sei von polnischer Seite von einem "hohen Maße an Misstrauen" geprägt.
Der Alles-oder-Nichts-Standpunkt Warschaus habe es bisher verhindert, einen Ansatzpunkt für Verhandlungen zu finden. Dabei müsse Polen eigentlich ein großes Interesse an dem neuen Vertrag haben, meinte Brok. Ohne ihn gebe es weder Energie- und Energiesicherheitszuständigkeit der EU noch den neuen Bereich der Sicherheits- und Außenpolitik einschließlich einer Solidaritätsklausel. Auch die Erweiterungsfähigkeit der Union wäre nicht gegeben. Das von Polen immer wieder aufgebrachte Thema Ukraine wäre "für ewig" vom Tisch.
Suche nach Ausweg
Wenn er jetzt höre, dass man wegen eines historischen Rabatts auf ein höheres Stimmrecht Anspruch habe, "dann kommen wir in gefährliches Fahrwasser." Die Europäische Einigung beruhe nicht darauf, die Vergangenheit unter anderen Voraussetzungen fortzusetzen, sondern im Durchbrechen des alten Kreislaufs auf der Grundlage der Gleichberechtigung.
Ein vorstellbarer Ausweg aus der Misere könnte sein, die Anwendung der doppelten Mehrheit jetzt zu beschließen, deren Gültigkeit aber auf 2013 aufzuschieben. Polen könnte noch weiter fünf Jahre sein überaus günstiges Stimmgewicht nach den derzeit gültigen Nizza-Regeln verfügen - also auch in den Verhandlungen für den nächsten Finanzrahmen der EU.
Um den Briten entgegen zu kommen, müssten im neuen Text einige Dinge eindeutig klargestellt werden, sagte Brok: Aus der Charta der Grundrechte dürften keine Rechte von Einzelnen entstehen, vor dem Europäischen Gerichtshof Ansprüche in Bereichen erlangen zu können, die in die nationale Zuständigkeit fallen. Die Charta betreffe ausschließlich die europäische Gesetzgebung und deren Umsetzung. Das sei übrigens auch in deutschem Interesse. Dass die Grundrechtecharta nicht etwa entgegen der nationalen Zuständigkeit in Rentensysteme eingreife. Und Großbritannien fürchtet beispielsweise durch das neu verbriefte Recht auf Streik Eingriffe in den ihren Arbeitsmarkt. Für die Sicherheits- und Justizzusammenarbeit könne London eine Ausnahmeregelung erhalten, ein "Opt-out". Die außenpolitischen Kompetenzen der EU müssten eben klar abgegrenzt werden.