Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen bis Juni 2006 nachdenken und dann den Ratifizierungsprozess des Verfassungsvertrags unter österreichischer Präsidentschaft neu bewerten. Während dieser Zeit soll es den Mitgliedsstaaten selbst überlassen werden, ob sie mit der Umsetzung fortfahren. Zahlreiche Länder wollen aussetzen. Wenn überhaupt, wird das neue Regelwerk frühestens Ende 2007 in Kraft treten.
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"Die neue Sachlage stellt den Ratifizierungsprozess nicht in Frage. Wir sind über den Zeitrahmen übereingekommen, um gemeinsam über die neue Situation nach den jüngsten Ereignissen nachzudenken", heißt es mit Blick auf die gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden. Im Juni 2006 wollen die Staats- und Regierungschefs diesbezüglich wieder zusammentreffen - zum Endspurt des österreichischen EU-Vorsitzes. Aufgrund einer "allgemeinen Bewertung der nationalen Debatten" wollen sie dann "gemeinsam entscheiden", wie "mit dem Ratifizierungsprozess am besten fortgefahren" werden soll. Mit dieser gemeinsamen Empfehlung legten die 25 EU-Regierungen am Freitag ihre geplante Verfassung auf Eis.
Damit soll ein schwieriger Spagat gelingen. So soll den Mitgliedsstaaten sowohl das Aussetzen als auch die Fortführung des Ratifizierungsprozesses ermöglicht werden. In zahlreichen Ländern ist die Ablehnung des Vertragswerks zuletzt drastisch angestiegen. Ein weiteres Nein würde die angeschlagene Verfassung umbringen, lautet die Einschätzung. Die Umsetzung liege selbstverständlich weiterhin in der nationalen Verantwortung der Mitgliedsstaaten, betonte auch der Luxemburger Ratspräsident Jean-Claude Juncker. Sechs der zehn ausständigen Mitgliedsstaaten ergriffen die Möglichkeit der Pause umgehend, Großbritannien hatte die Verfassung schon Anfang Juni eingefroren. Vier Länder wollen weitermachen.
"Wir sind überein gekommen, dass es keine Alternative zu dieser Verfassung gibt", schloss Juncker Neuverhandlungen des Verfassungstextes aus. Kein EU-Staat habe das gefordert, versicherte auch Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso. "Europa bleibt nicht stehen während dieser Zeit der Debatte und des Dialoges." Von einer "aktiven Reflexionsphase" sprach auch der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, auf dem nächstes Jahr die Zukunftshoffnung der Verfassung lastet. Bis dahin verheißt die Erklärung eine "breite Diskussion in allen Ländern, unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft, Sozialpartner, nationalen Parlamente, politischen Parteien und Institutionen der Europäischen Union".
Sechs Länder warten ab
Zumindest auf die Zeit nach dem Treffen haben Dänemark, Tschechien, Portugal und Irland am Freitagmorgen ihre Referenden verschoben. Schweden und Finnland warten mit der Ratifizierung im Parlament. Man könne "kein Auto verkaufen, das vielleicht in 18 Monaten kaputt ist", formulierte der irische Regierungschef Bertie Ahern das gemeinsame Bedenken. Weiter fraglich ist die Abhaltung des für 10. Juli angesetzten Referendums in Luxemburg. Darüber müsse das Parlament entscheiden, sagte Juncker.
Durchhaltevermögen beweisen dagegen die Polen. Wie geplant werde das Referendum im Herbst stattfinden, bestätigte Ministerpräsident Marek Belka. Um die nötigen 50 Prozent Beteiligung bei der Abstimmung zu erzielen könnte die Abstimmung mit der Präsidentenwahl am 9. Oktober zusammengelegt werden. Estland, Zypern und Malta haben angekündigt, planmäßig im Sommer und Herbst im Parlament zu ratifizieren. Tallinn ringt noch mit einer deutlichen Ablehnung des Vertrags in den Umfragen. In Malta, dessen Parlament traditionell in zwei etwa gleich große Blöcke von Konservativen und Sozialdemokraten gespalten ist, winken ausnahmsweise 100 Prozent Zustimmung.
Eine neuerliche Volksabstimmung noch in der laufenden Legislaturperiode schloss der niederländische Regierungschef Jan Peter Balkenende indes am Gipfel aus. Sowohl die Niederlande als auch Frankreich haben ihre Wahlen Mitte 2007. Auch unter Präsident Jacques Chirac wird der Wiederholung des Referendums keine Chance auf einen positiven Ausgang eingeräumt.