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Schlepper, aber auch Flüchtlinge in Seenot sollen rascher entdeckt werden.
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Brüssel. Überwachen, sichern, abschotten: Beim Schutz ihrer Außengrenzen setzt die Europäische Union einmal mehr auf scharfe Kontrollen. Diese soll nun ein Kommunikationssystem verbessern, das mit Wochenbeginn in Betrieb gegangen ist. Eurosur soll aber nicht nur dem Zweck dienen, illegale Migration einzudämmen und Schleppern oder anderen über Grenzen hinweg tätigen Kriminellen das Handwerk zu legen, sondern auch in Seenot geratene Flüchtlinge schneller zu entdecken und den Menschen zu Hilfe zu kommen.
All das soll über bessere Kommunikation zwischen den Mitgliedstaaten erfolgen: Polizei, Küstenwache oder Grenzschutz sollen schneller Informationen - die sie unter anderem durch Satellitenbilder erhalten - etwa über den Standort von Flüchtlingsbooten austauschen. Nationale Zentren sollen die Tätigkeiten koordinieren und dabei auch mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex zusammenarbeiten. So könnten nicht nur Rettungsaktionen gestartet, sondern Lagebilder und Risikoanalysen beispielsweise über Schmuggelrouten erstellt werden.
Bis 2020 will die Union für das neue Instrument rund 244 Millionen Euro ausgeben. Für Frontex selbst ist ein jährliches Budget in Höhe von knapp 90 Millionen Euro vorgesehen.
An Eurosur beteiligt sind die 18 an den Süd- und Ostgrenzen der EU gelegenen Unionsstaaten sowie Norwegen, das lediglich ein assoziiertes Mitglied des Schengen-Raumes ist, wo Reisen ohne Grenzkontrollen möglich sind. In einem Jahr sollen sich weitere elf Länder anschließen. Auch sie sind dann verpflichtet, die betreffenden Daten zu liefern.
Kritik an dem neuen Überwachungssystem gab es allerdings schon vor dessen Inbetriebnahme. Sie kam nicht nur aus dem EU-Parlament, das sich trotzdem mehrheitlich für die Einrichtung von Eurosur ausgesprochen hatte. Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen prangerten immer wieder an, dass es nicht in erster Linie um die Rettung von Menschen gehe. Daher würden humanitäre Katastrophen wie vor der italienischen Insel Lampedusa, wo hunderte Flüchtlinge ertrunken sind, nicht grundsätzlich verhindert. Vielmehr verfolge Eurosur den Zweck, Europa noch wirkungsvoller gegen Einwanderer abzuschotten. Das würde aber wenig daran ändern, dass jährlich schätzungsweise mehr als tausend Menschen bei der Überfahrt aus Nordafrika im Mittelmeer sterben.
Die EU-Kommission hält dem entgegen, dass die EU-Länder gerade durch ihre Zusammenarbeit rascher als bisher auf kritische Situationen reagieren können. Mit Hilfe von Satellitenbildern könnten dabei auch kleinere Schiffe aufgespürt werden. Allerdings könnten die Menschen darauf wieder zurückgeschickt werden. Das solle jedoch unter Wahrung aller völkerrechtlichen Pflichten geschehen, betont die Kommission. So sollen Flüchtlinge, die internationalen Schutz benötigen, nicht zurückgewiesen werden. Gleichzeitig sollen über Eurosur aber mögliche veränderte Schlepperrouten oder neue Methoden krimineller Netzwerke aufgedeckt werden.
Maßnahmen zur Kontrolle nicht verhältnismäßig?
Eurosur ist nur das jüngste Instrument der EU zur verstärkten Überwachung der Landes- und Seegrenzen der Gemeinschaft. Neben die herkömmliche Pass- und Visakontrolle ist bereits die Erstellung umfassender Datensammlungen getreten, in die auch biometrische Angaben einfließen. Und mit neuesten Technologien arbeitete auch schon die EU-Agentur Frontex.
Bei all dem ergibt sich aber ein "Dilemma des Ausmaßes", stellt die Brüsseler Denkfabrik CEPS (Centre for European Policy Studies) fest. In einem aktuellen Studienpapier weisen Elspeth Guild und Sergio Carrera darauf hin, dass laut Schätzungen jährlich fast hundert Millionen Menschen aus Nicht-EU-Staaten legal die Grenzen der Union passieren und im Gegensatz dazu im Vorjahr nicht einmal 500.000 Menschen die Einreise entweder verweigert oder ihnen das Recht darauf entzogen wurde. Daher seien Maßnahmen wie die Schaffung neuer Datenbanken oder die Verwendung von Satellitenbildern, die einen derart geringen Bruchteil an Überschreitungen herausfiltern sollen, aber alle Reisende betreffen, "schlicht unverhältnismäßig". Zur Rettung von Menschen in Seenot eignen sich diese Instrumente jedenfalls kaum, finden die Experten.