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EU verschärft Ratingregeln

Von Hermann Sileitsch

Politik

Regelwerk bringt mehr Transparenz, aber vermutlich keine große Revolution.


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Brüssel. Europa nimmt die Ratingagenturen etwas härter an die Kandare: Die EU-Institutionen einigten sich in der Nacht auf Mittwoch auf ein neues Regelwerk. Noch sind technische Details offen; das Parlamentsplenum könnte im Jänner 2013 abstimmen.

Die Eckpunkte stehen aber. Die größte Folgewirkung könnte haben, dass die EU bis 2020 alle Bezugnahmen auf Ratings aus ihren Gesetzestexten und Regulierungen entfernen will - sofern es praktikable Alternativen gibt. Investoren sollen stärker dazu veranlasst werden, sich eigene Urteile zu bilden. Zugleich will Brüssel ein Chaos wie in den USA vermeiden: Dort hatten die Gesetzgeber Ratings mit dem Dodd-Frank-Act per Federstrich aus allen Texten getilgt - und mussten feststellen, dass das ohne Alternativen kaum sinnvoll ist.

Fixtermine für Staatsratings

Eine weitere Regel sieht vor, dass die Agenturen die Bonitätsnoten für Staaten nur noch zu drei fix vereinbarten Stichtagen pro Jahr und nur außerhalb der Börsezeiten veröffentlichen dürfen. Wird die Kreditwürdigkeit eines Staates abgestuft, kann das nämlich zu heftigen Marktreaktionen führen. Den drei großen Agenturen Standard&Poor’s (S&P), Moody’s und Fitch wird vorgeworfen, sie hätten die Euro-Schuldenkrise mit Abstufungen, die sie jeweils kurz vor EU-Gipfeln lancierten, unnötig verschärft. Die Fixtermine sollen das verhindern. Für Ereignisse, die eine akute Pleitegefahr heraufbeschwören könnten (siehe Argentinien), gibt es Ausnahmen. Bei Staatsratings müssen die Agenturen obendrein ihre Modellrechnungen öffentlich machen.

Die EU sieht auch die Gefahr von Interessenkonflikten. Agenturen dürfen künftig keine Unternehmen bewerten, die mehr als 10 Prozent Anteil besitzen. US-Starinvestor Warren Buffett hat seine Aktien an Moody’s zwar reduziert, hielt aber zuletzt noch fast 13 Prozent. Eigentümer von Fitch sind die französische Gruppe Fimalac und der US-Medienkonzern Hearst; S&P gehört dem US-Medienverlag McGraw-Hill: Auch ihre Unternehmen oder Finanzprodukte könnten also betroffen sein.

Weitere Neuheiten: Die führenden Analysten müssten regelmäßig abgelöst werden und den bekannten Rating-Buchstabencodes (etwa "AAA" bis "D") wird Zahlenmaterial zur Seite gestellt, das historische Ausfallswahrscheinlichkeiten dokumentiert.

"Ich glaube nicht, dass die Regeln eine Revolution darstellen werden", sagt Thomas Missong zur "Wiener Zeitung". Der Österreicher ist Präsident von EACRA, einem Verband, in dem sich elf kleinere Agenturen aus acht Ländern zusammengeschlossen haben. Er sieht ein typisches politisches Ergebnis, für das sich das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten zusammenraufen mussten.

Limitiertes Rotationsprinzip

Als Vertreter der kleineren Herausforderer hätte sich Missong einen "mutigeren Ansatz" gewünscht, der für mehr Bewegung am Markt gesorgt hätte. So hatte die Kommission überraschend ein verpflichtendes Rotationsprinzip vorgeschlagen, wonach die Agentur in regelmäßigen Zeitabständen gewechselt hätte werden müssen. Das ist jetzt auf den sehr kleinen Bereich der wiederverbrieften Finanzprodukte beschränkt.

Die Marktmacht der großen Drei - S&P, Moody’s und Fitch erreichen an die 95 Prozent des Umsatzes - wird somit nicht so rasch gebrochen werden. Die Debatte habe aber dazu geführt, dass kleinere europäische Agenturen, die auf lokale Märkte oder Mittelständler abzielen, verstärkt wahrgenommen werden, so Missong.

Unklar ist aus EACRA-Sicht, wie sich der neue EU-Rahmen für Haftungsklagen auswirken wird. Einerseits werden die Klagsmöglichkeiten recht weit gefasst - die Haftung kann gegenüber Investoren und Emittenten zum Tragen kommen. Andererseits müssten Kläger im Regelfall Beweise für grobe Fahrlässigkeit, Irreführung oder schwere Fehler vorlegen. Wie Klagen gegen Ratingagenturen künftig gehandhabt werden, bleibe somit abzuwarten, sagt Missong.

In den USA konstatiert er einen Wandel: "Bisher konnten sich die Agenturen auf die Meinungsfreiheit berufen. Jetzt ändert sich die Rechtssprechung offenbar gerade - Ratings sind nun doch mehr als eine reine Meinungsäußerung."