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Skepsis gegen eine Änderung des EU-Vertrags und Stimmrechtsentzug. | EZB schießt scharf gegen Defizitsünder. | Brüssel. Die Telefone zwischen den Regierungs- und Präsidentschaftskanzleien der EU laufen heiß. Schon beim am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel möchten Deutschland und Frankreich alle restlichen 25 Mitgliedstaaten von einer Änderung des Lissabonner Vertrags überzeugen.
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Damit sollen nach den Berliner Vorstellungen vor allem die Banken mit zur Kasse gebeten werden, wenn wieder einmal ein Euroland an den Rand der Pleite taumeln und die Eurozone als Ganzes bedroht würde. Ein vorab bekannter Krisenmechanismus sei daher nötig, hieß es in Regierungskreisen. Nie mehr dürften nur die Steuerzahler alleine zur Kasse gebeten werden.
Im Frühjahr, beim Absturz Griechenlands, sei es noch nicht möglich gewesen, den Finanzinstituten die drohenden Kreditausfälle weitgehend selbst aufzubürden, weil unvorhergesehene Abschläge von Forderungen gegenüber Euro-Staaten das Vertrauen in den Euro geschwächt oder womöglich sogar das Ende der Gemeinschaftswährung bedeuten hätte können.
"Büchse der Pandora"
Zusätzlich beharrt Berlin weiterhin darauf, notorischen Euro-Sündern in letzter Konsequenz das Stimmrecht in der Union zu streichen. Für beide Ansinnen ist nach Meinung von EU-Rechtsexperten eine Anpassung des Lissabonner Vertrags nötig.
Diese EU-Rechtsgrundlage ist nach rund neun Jahren komplizierter Verhandlungen gerade einmal vor gut elf Monaten in Kraft getreten. Mehrere Anläufe waren nötig, um das Vertragswerk auf den Weg zu bringen, nachdem es zuvor durch Referenden in Frankreich, den Niederlanden und Irland wiederholt zurückgeworfen worden war. Wenig überraschend warnten daher nicht wenige Außenminister bei ihrem Treffen zu Wochenbeginn, dass mit der Öffnung des Vertrags auch die "Büchse der Pandora" geöffnet würde. Eine Sprecherin des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann erklärte, dass man sich in Wien auch einen ständigen Krisenmechanismus ohne Vertragsänderung vorstellen könne. Für Berlin - und daher auch Paris - steht das allerdings nicht zur Diskussion, wie am Dienstag bekräftigt wurde.
Immerhin scheint eine Mehrheit der Mitgliedstaaten auch über 2013 hinaus einen Mechanismus zu wünschen, der die Wogen im Falle einer schwankenden Eurozone glättet. Der im Frühjahr auf die Beine gestellte Rettungsschirm (European Financial Stability Facility), der gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds für bis zu 750 Milliarden Euro Haftungen übernehmen könnte, läuft dann aus. Berlin hat eine Verlängerung bereits ausgeschlossen.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte daher schon länger recht einsam für eine Vertragsänderung plädiert, um einen langfristigen Krisenmechanismus und den eventuellen Entzug von Stimmrechten als letzter Möglichkeit durchzusetzen. Um auch den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy an Bord zu holen, verzichtete sie schließlich auf ihre ursprüngliche Forderung nach quasi-automatischen Sanktionen für Defizitsünder. Damit läuft sie aber Gefahr, ein Zugeständnis ohne gesicherte Gegenleistung gemacht zu haben.
Die jetzige Verwässerung sowie die Politisierung ist zudem ein Grauen für die Europäische Zentralbank (EZB). In einem zu Wochenbeginn erschienenen Beitrag in der "Financial Times Deutschland" plädierte EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark für die Überwachung des EU-Stabilitätspakts durch ein unabhängiges Gremium und harte Strafen gegen Defizitsünder. "Solange Europas potenzielle Sünder weiter seine tatsächlichen Sünden beurteilen, wird der Gruppendruck nicht funktionieren", schrieb Stark.
EZB will Sanktionen
Gebraucht werde daher eine entpolitisierte Überwachung - "am besten durch ein unabhängiges Gremium". Zudem brauche es harte Sanktionen, schon bevor das Land in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät. Die Verhängung der Strafen soll nicht einmal Ultima Ratio sein, sondern bereits eingeleitet werden, wenn die Regierungen die Mindestanforderungen zur Erreichung der mittelfristigen Ziele nicht mehr erfüllen.
Der Stabilitätspakt sieht eine Grenze für die jährliche Neuverschuldung von drei Prozent und ein Limit für die Gesamtverschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes vor. Nur wenige Länder erfüllen derzeit die Vorgaben.
Doch die EU operiert mit einem engen Regelwerk. Wenn Berlin etwa den angedrohten Stimmrechtsentzug für Defizitsünder fallen lässt und sich auf die Kostenbeteiligung der Banken bei drohenden Staatspleiten beschränke, könnte die Anpassung des Lissabonner Vertrags durchgehen, hieß es in EU-Kreisen. Zusammengenommen seien nur etwa zwei neue Zeilen Vertragstext nötig.
Entscheidend dafür dürfte aber sein, dass es keine neue Kompetenzübertragung von den Mitgliedsstaaten an Brüssel gibt, wie es das deutsche Konzept offenbar vorsieht. Das ist wichtig, weil der britische Premier David Cameron bereits angekündigt hat, ansonsten eine Volksabstimmung über die Vertragsänderung abzuhalten, was die Chancen auf eine Durchsetzung in Großbritannien gegen null senken würde. Auch Faymann müsste wohl noch prüfen, ob eine Kompetenzübertragung österreichische Interessen berührt. Sollte das so sein, wäre laut seinem Versprechen an die Österreicher per "Kronen Zeitung" vom Sommer 2008 ebenfalls eine Volksabstimmung fällig.