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EU: Weg frei für Lissabon-Vertrag

Von WZ Online

Europaarchiv

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben bei ihrem Gipfel Donnerstag abend eine große Hürde für den Lissabon-Vertrag beseitigt. Prag erhält eine generelle Ausnahme von der EU-Grundrechtecharta. Eine entsprechende Erklärung und ein Protokoll sollen es Staatspräsident Vaclav Klaus ermöglichen, als letzter den EU-Vertrag zu ratifizieren. | Link: | Die Ausnahmeregelung für Tschechien im Wortlaut


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Hinsichtlich der neuen EU-Spitzenposten, die durch den Lissabon-Vertrag geschaffen werden - der fixe EU-Ratspräsident und der Hohen Beauftragte für die EU-Außenpolitik - zeichnete sich eine Einigung zwischen den beiden stärksten Parteien - Konservative und Sozialdemokraten - ab. Vor der Weltklimakonferenz in Kopenhagen konnte sich der Gipfel am ersten Tag noch nicht nicht auf ein konkretes Angebot zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen für die Entwicklungsländer verständigen.

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso zeigte sich erfreut, dass in Bezug auf den Lissabon-Vertrag eine "Marathonarbeit mit Hindernissen" zu Ende gehe, wenn es auch "viel schöner" wäre, wenn alle EU-Staaten sich an die Grundrechtsklausel anschließen könnten. "Ich erwarte sehr bald den Lissabon-Vertrag, der in Kraft treten kann." Der amtierende EU-Ratspräsident, der schwedische Premier Frederik Reinfeldt sprach davon, dass mit der gefundenen Lösung jetzt "die Türe für die Ratifizierung offen steht".

Mit dem sogenannten Opt-out von der EU-Grundrechtscharta für Tschechien, wie er auch Großbritannien und Polen gewährt wurde, ist eine neuerliche Ratifizierungsrunde für die restlichen Mitgliedsstaaten nicht erforderlich. Die Ratifizierung des Protokolls über die Ausnahmeregelung für Prag werde nicht jetzt erfolgen müssen, "ich weiß nicht wann, aber zu einem späteren Zeitpunkt", so Reinfeldt. "Einer raschen Vollendung der Ratifizierung wird nichts im Weg stehen", sagte der tschechische Ministerpräsident Jan Fischer. "Die Tschechische Republik wird den Vertrag ratifizieren, so dass er bis zum Ende des Jahres in Kraft treten kann."

Postenpoker

Laut der sich abzeichnenden Einigung zu den Personalia soll eine Person aus den Reihen der EVP (Europäische Volkspartei) der erste ständige EU-Ratspräsidenten werden; die EU-Sozialdemokraten (SPE) sollen den ersten "EU-Außenminister" stellen. Bundeskanzler Werner Faymann (S) dämpfte Hoffnungen auf einen der Spitzenposten für einen Österreicher. Er habe "zur Stunde niemanden gehört, der (Ex-Kanzler) Wolfgang Schüssel (V) für eine bestimmte Funktion" unterstütze, sagte Faymann in Brüssel. Er garantiere aber, dass er eine Chance für einen Österreicher unterstützen würde, wenn sich diese ergebe. Eine Nominierung von Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer (S) hält Faymann ebenso für "völlig unrealistisch", da Österreich mit Wissenschaftsminister Johannes Hahn (V) bereits einen neuen EU-Kommissar vorgeschlagen habe. Der EU-Außenpolitik-Beauftragte ist nach dem Lissabon-Vertrag in Personalunion Vizepräsident der EU-Kommission, jedes EU-Land stellt aber nur einen Kommissionsvertreter.

Auch Faymann und Außenminister Michael Spindelegger (V) begrüßten die Einigung zu Tschechien. Der Kompromiss stellt klar, dass die Menschenrechtscharta keine Rechtsgrundlage für mögliche Klagen gegen die sogenannten Benes-Dekrete von 1945 sind. Auf deren Grundlage waren mehr als zwei Millionen Sudetendeutsche und Hunderttausende von Ungarn aus der damaligen Tschechoslowakei vertrieben worden.

"Es hat sich keine Formulierung durchgesetzt, die auch nur im geringsten den Verdacht aufkommen lässt, dass die Benes-Dekrete betroffen sind." Unrechtsakte würden nicht legitimiert, es gebe auch keine Schlechterstellung für andere EU-Bürger, versicherte Faymann. Österreich habe hier eine konsequente Haltung gemeinsam mit Deutschland und Ungarn vertreten. Er gehe davon aus, dass Klaus nun Wort halte und keine weiteren Forderungen für die Ratifizierungen des Lissabon-Vertrags stelle, sagte der Kanzler. Der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt warf den Gipfelteilnehmern in einer Aussendung als Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe dagegen "moralisches Versagen in Sachen Benes-Dekrete" vor, obwohl sich durch das "Scheinzugeständnis" an Klaus nichts an der Rechtslage ändere.

Tschechien ist der einzige der 27 EU-Mitgliedstaaten, der den Lissabon-Vertrag nicht ratifiziert hat. Das tschechische Verfassungsgericht will am 3. November über eine Klage tschechischer Senatoren gegen den Vertrag entscheiden. Erst danach ist eine Unterschrift des EU-kritischen Präsidenten, der nicht in Brüssel anwesend war, möglich. Klaus' enger Mitarbeiter Jiri Weigel sagte laut dpa, sein Chef werde keine weiteren Bedingungen stellen.

Klimaschutz offen

Keine fixe Zusage gab der EU-Gipfel vorerst beim Klimaschutz. Die EU muss das Verhandlungsmandat für den Weltklimagipfel im Dezember festlegen. Die EU-Staaten wollen ihren Ausstoß klimaschädlicher Gase bis 2020 um 20 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern. Einen Abbau um 30 Prozent bietet die EU an, wenn sich Länder wie die USA und China in Kopenhagen zu "vergleichbaren Emissionsminderungen" verpflichten. Hauptstreitpunkt unter den EU-Staaten sind Finanzhilfen für arme Länder beim Klimaschutz. Die EU-Kommission beziffert die dafür nötigen Mittel auf jährlich bis zu 100 Milliarden Euro bis 2020. Ein "Erfolg" wäre es nach Angaben eines ranghohen Kommissionsmitarbeiters, wenn der Gipfel beschließen würde, dass die EU für den Zeitraum 2013 bis 2020 jährlich 15 Milliarden Euro zuschießen soll.

Was die Lastenaufteilung betrifft, zeichnete sich zuletzt ein Ost-West-Konflikt innerhalb der EU ab. Polen, Rumänien, Bulgarien, Slowenien, Ungarn und Tschechien drängten auf eine Art Rabatt bei der Klimaschutz-Finanzierung, was die "alten" EU-Staaten wie Österreich, Deutschland, Frankreich oder Dänemark ablehnen. Nach Angaben des italienischen Außenministers Franco Frattini forderten Deutschland, Frankreich und Italien die schwedische Ratspräsidentschaft auf, sich zunächst mit einer politischen Übereinkunft zufriedenzugeben. Reinfeld sagte: "Wir werden morgen einen neuen Vorschlag unterbreiten und dann sehen, ob wir ein starkes Verhandlungsmandat erzielen können." Barroso merkte an, die ärmeren Länder brauchten Unterstützung, und "ich hoffe, dass wir morgen rasch eine Einigung erzielen". (APA)

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