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EU weicht ihre Sozialpläne auf

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik
Wegen der Krise verlor diese Spanierin erst ihren Job, dann ihre Wohnung: Nun sitzt sie mit ihren Kindern auf der Straße - kein Einzelfall in der EU. Doch eine ehrgeizigere Sozialpolitik ist nicht in Sicht.
© reu

Kommission will bei Budgetentwürfen auch Arbeitslosigkeit berücksichtigen.


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Brüssel. Eine europäische finanzielle Unterstützung für Europas Jobsuchende - das ist in der EU noch immer nicht in Sicht. Denn der Widerstand einiger Länder gegen eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung ist trotz hoher Beschäftigungslosenraten groß. Das ist auch der EU-Kommission bewusst - und dementsprechend abgeschwächt fielen ihre Vorschläge zur Stärkung der Sozialpolitik aus.

Ginge es nämlich nach dem zuständigen Kommissar Laszlo Andor, würde die "soziale Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion" deutlicher berücksichtigt. Ursprünglich hat er etwa die Idee eines Hilfsmechanismus lanciert, der ab einer bestimmten Arbeitslosenquote automatisch ausgelöst wird. Doch in seinem nun in Brüssel präsentierten Vorschlag ist das nicht mehr enthalten. Zusätzliche Mittel soll es vorerst nicht geben, und auch eine europäische Arbeitslosenversicherung sei erst als "langfristige Maßnahme" möglich - etwa in Form eines eigenen Budgets für die Eurozone, das starke Ungleichgewichte ausgleichen könnte. Das aber würde "wesentliche Änderungen" der EU-Verträge voraussetzen, da die Kommission derzeit nicht genügend Kompetenzen dafür hat.

So beschränken sich Andors Pläne darauf, in die Bewertung der Budget- und Reformentwürfe der einzelnen Länder weitere Indikatoren einzubauen. Im Rahmen des sogenannten europäischen Semesters sollen also künftig fünf Kennziffern mehr berücksichtigt werden: die Arbeitslosenrate und ihre Entwicklung, die Zahl der jugendlichen Jobsuchenden, das verfügbare Haushaltseinkommen, das Armutsrisiko sowie Ungleichheiten am Arbeitsmarkt. Das soll die soziale Situation der Mitglieder besser vergleichbar machen - ähnlich wie die wirtschaftlichen Vorgaben dazu dienen, die ökonomischen Programme der Mitglieder besser zu koordinieren. Hätte es diese Messungen bereits bei Ausbruch der Krise vor gut fünf Jahren schon gegeben, wären die Risiken damals deutlich zu erkennen gewesen, meinte Andor. Denn die Unterschiede in der Eurozone zwischen den Kernländern wie Deutschland und den Staaten an der Peripherie wie Spanien oder Griechenland seien für die gesamte Währungsunion ein Problem.

Geld aus Fördertöpfen

Um dieses zu bewältigen, sollen auch die bestehenden finanziellen Möglichkeiten besser ausgenützt werden, da es ja vorerst keine neuen Transferzahlungen geben soll. Für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit soll etwa Geld aus dem Europäischen Sozialfonds verwendet werden. In von Jugendarbeitslosigkeit besonders betroffene Regionen sollen bis zu acht Milliarden Euro für die Umsetzung der Jugendgarantie fließen. Ebenso sollten die Staaten ihre Wohlfahrtssysteme modernisieren, um zur Verfügung stehende Mittel besser einzusetzen.

Weiters drängt Andor darauf, die Sozialpartner in die Erstellung der nationalen Haushaltspläne mehr als bisher einzubinden. Die Stärkung des "sozialen Dialogs" hat sich die EU allerdings schon vor Jahren zum Ziel gesetzt. Festgehalten wurde dies bereits im Vertrag von Lissabon.

Daher finden zumindest die Sozialdemokraten im EU-Parlament die nun präsentierten Vorschläge der Kommission unzureichend. "Es ist lediglich der Versuch, der Wirtschafts- und Währungsunion ein soziales Antlitz zu verpassen", kommentiert die österreichische EU-Abgeordnete Evelyn Regner. Es gebe zwar einige gute Elemente, doch handle es sich wieder mehr um Allgemeinheiten.

Vor allem mangle es an Verbindlichkeit - parallel zu den wirtschaftlichen Vorgaben wie Budgetdefizite: Wenn diese nicht eingehalten werden, drohen Konsequenzen. "Wenn die Länder Schulden machen, müssen sie mit Sanktionen rechnen", sagt Regner. Solch ein Mechanismus wäre auch bei den sozialen Indikatoren nötig: Falls bestimmte Werte überschritten würden, wäre eine Gegensteuerung angebracht.

Was der Mandatarin ebenfalls abgeht, sind europäische Mindeststandards beim Arbeitnehmerschutz oder für atypische Arbeitsverhältnisse. Hinzu kommt - die von Kommissar Andor selbst zuvor nicht abgelehnte - Forderung nach Mindestlöhnen. Diese wären nach den Vorstellungen Regners allerdings nicht EU-weit, sondern national festzulegen, in den einzelnen Ländern jedoch flächendeckend.

Unnötige Berufshürden?

Den Vorschlag hat die Kommission zwar nicht erneuert. Doch versucht sie nun, parallel zu Andors Plänen, einmal mehr die Mobilität der Arbeitnehmer zu erhöhen. Lediglich vier Prozent der Menschen haben nämlich einen Job in einem anderen Mitgliedsland als ihrem. Auf die Hürden, die auf den nationalen Arbeitsmärkten für andere Staatsbürger bestehen, hat die Brüsseler Behörden schon mehrmals hingewiesen. Nun möchte sie auch die Beschränkungen zu reglementierten Berufen untersuchen lassen.

Von diesen gibt es laut ihren Angaben an die 740 in der EU, Architekten oder Apotheker gehören dazu. Und auch wenn in Kommissionskreisen betont wird, dass es nicht um eine Deregulierung geht, solle die Frage gestellt werden, ob die Beschränkungen im Zugang tatsächlich gerechtfertigt seien.

Daher schlägt die Kommission den Ländern vor, bis zum kommenden Jahr eine Liste der regulierten Berufe zu erstellen und danach zu bewerten, ob die bisherigen Auflagen zielführend sind. Das betrifft Bereiche wie die Bau- und Transportindustrie oder Handwerksberufe. Ein Vergleich unter den Staaten könnte einige Hürden so unnötig erscheinen lassen.