Zum Hauptinhalt springen

EU will "gläsernen Verbrecher"

Von Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Serienmörder als aktueller Auslöser. | Zentrale Erfassung im Täter-Heimatland. | Bürokratie bremst Einführung bis 2011. | Luxemburg/Brüssel. Gut zehn Jahre konnte Michel Fourniret ungehindert vergewaltigen und morden. Zumindest sieben Mädchen und junge Frauen zwischen zwölf und 21 fielen ihm bis 2001 zum Opfer. Die belgischen Ermittler wussten nicht, dass er bereits wegen Vergewaltigung eine mehrjährige Haftstrafe in Frankreich abgesessen hatte und verfolgten Indizien gegen ihn deshalb nicht weiter. So etwas soll nie wieder passieren. Denn künftig sollen alle gröberen Straftaten von EU-Bürgern in allen Mitgliedsländern rasch und elektronisch ausgetauscht werden, um Ermittlungen zu erleichtern. Das beschlossen die Justizminister der Union am Freitag.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Straftaten, die auf EU-Gebiet begangen werden, sollen dafür an den Heimatstaat des Verbrechers gemeldet und dort gespeichert werden. Wird derselbe Täter in irgendeinem Mitgliedsland verdächtigt und/oder verhaftet, kann die gesamte Akte mit allen in der EU begangenen Verbrechen innerhalb weniger Stunden zur Verfügung gestellt werden. Heute dauert das oft länger als einen Monat, was etwa für die Entscheidung über die Verhängung von Untersuchungshaft höchst problematisch ist.

Einheits-Strafkatalog

Darüber hinaus wird eine Art Übersetzungstabelle für verschiedene Delikte und Deliktgruppen ausgearbeitet sowie die in den jeweiligen Mitgliedsstaaten dafür zu verhängenden Strafen. Das soll auch bei der Strafbemessung vor Gericht oder eventuellen bedingten Haftentlassungen ins Gewicht fallen. Im österreichischen Strafregister werden Verbrechen gespeichert, die mit mindestens einem Jahr Haft geahndet werden.

Von dem neuen EU-Beschluss noch nicht erfasst sind Staatsbürger von Nicht-EU-Staaten, selbst wenn sie seit langem auf dem EU-Gebiet leben und sich dort frei bewegen können. Ermittlungen gegen sie bleiben sperrig: Es müssten wie bisher Strafregisterauszüge bei jedem einzelnen Mitgliedsstaat per Formular angefragt werden. Zwar wird diskutiert, die Verurteilungen von Drittstaatsbürgern zentral bei der EU-Kommission aufzubewahren, die für Staatsanwälte und Richter dann Ansprechstelle wäre. Doch bisher hat Brüssel dazu noch keine genaueren Überlegungen geäußert.

Und die Entscheidungsfindung in der EU ist nicht die unkomplizierteste. Erst Anfang 2011 soll das System voll operativ werden. Bis dahin dauert die bei einschlägigen EU-Gesetzen gängige Umsetzungsfrist. Erst dann werden tatsächlich alle Straftaten aus allen EU-Ländern in jenem Land aufbewahrt, dessen Staatsbürgerschaft der Täter hat.

Zwist um Flug-Daten

Noch viel länger wird die Umsetzung einer anderen Idee dauern: Alle Daten von Flugpassagieren sollten zur Verwendung im Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität gespeichert werden. Das gefällt einigen Innenministern, Großbritannien praktiziert das bereits, doch die Umsetzung eines gemeinsamen Systems stockt. Nur Optimisten erwarten eine Einigung bereits im zweiten Halbjahr 2009.

Zwar wollten die derzeit der EU vorsitzenden Franzosen beim Treffen der Minister Grundzüge des Systems festzurren. Doch dabei scheinen sie nur eine weitere Front geöffnet zu haben. War bisher nur die Registrierung und Speicherung der Passagierdaten von Flügen in die und aus der EU geplant, fragt Frankreich nun, ob nicht auch Flüge innerhalb der Union erfasst werden sollen. Das geht aus einem Sitzungsdokument hervor, das der "Wiener Zeitung" vorliegt.

Bisher sollten Mitgliedsländer wählen können, ob sie Binnenflüge erfassen oder nicht. Kritiker monieren, dass einheitlich vorgegangen werden solle. Denn beeindruckende Präsentationen von US-Experten gingen von anderen Grundlagen aus: Während in der EU 27 Länder nach unterschiedlichen Systemen Daten erfassen und nach unterschiedlichen Kriterien Risikoanalysen erstellen, macht das in den USA nur eine Behörde. Die konnte damit etwa überdurchschnittlich oft "Bodypacker" mit Drogen im Körper herausfiltern und fassen.