EU-Kommissar Mandelson will Missbrauch eindämmen. | Auch Produzenten in der EU leiden unter Strafzöllen. | Brüssel. Die EU-Kommission überlegt die komplette Revision des derzeit gültigen Systems für Sanktionen gegen unfaire Handelspraktiken. Denn das gemeinsame wirtschaftliche Interesse der EU sei wegen "weit reichender Veränderungen in der globalen Wirtschaft und in der Struktur der EU-Wirtschaft" viel komplexer geworden. Die Brüsseler Behörde halte eine "zu starke Gewichtung in Richtung der EU-Produzenten" für möglich, heißt es in dem der "Wiener Zeitung" vorliegenden Entwurf eines Diskussionspapiers, das Handelskommissar Peter Mandelson heute, Mittwoch, vorstellen wird.
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Die Sanktionen dürften nicht dazu verwendet werden, die "heimische Industrie vor gerechtfertigtem Wettbewerb zu schützen". Und die Interessen von Importeuren und Konsumenten könnten künftig stärker berücksichtigt werden. Das Beispiel der jüngsten Verhängung von Strafzöllen auf Lederschuhe aus China und Vietnam habe darüber hinaus gezeigt, dass EU-Produzenten, die Teile ihrer Produktion ausgelagert haben, ebenfalls unter den Sanktionen leiden. Der britische Kommissar regt nun an, die Strafzölle künftig nur mehr für kürzere Zeit zu verhängen und die Verlängerung zu erschweren. Zusätzlich könnten sämtliche Informationen, die dazu führen, öffentlich gemacht werden.
Regelmäßiger Streit
Hintergrund des Kommissionsvorstoßes ist der regelmäßige Streit über Strafzölle zwischen den Anhängern des Freihandels wie Großbritannien, Schweden und Dänemark sowie den eher um ihre Industrie besorgten Ländern wie Frankreich, Deutschland, Polen und die meisten südlichen Mitgliedsstaaten. Kritiker wittern vor allem den Missbrauch der Strafzölle als Instrumente des Protektionismus und der Politik. Und tatsächlich geht vielen Entscheidungen ein mühsames politisches Feilschen voraus. Aufgehängt wird die Kritik aber oft an untypischen Fällen wie den der Lederschuhe. Denn betroffen von einer Abschwächung des Systems wäre nämlich vor allem die europäische Stahl- und Chemieindustrie. Und freier Wettbewerb sei zwar zur Entwicklung des Unternehmens in allen Kontinenten notwendig, sagte Joachim Grill, Vorstandssprecher des österreichischen Düngemittelproduzenten AMI Agrolinz Melamine International zur "Wiener Zeitung". Aber "wo kein freier Wettbewerb vorhanden ist, müssen unserer Ansicht nach handelspolitische Instrumente den Schwächeren im Sinne eines freien Wettbewerbes schützen".
Derzeit verfügt die EU im Einklang mit den Bestimmungen der WTO über einige Maßnahmen zum Schutz gegen unfaire Handelspraktiken, wie das weit verbreitete Dumping. Es liegt vor, wenn Unternehmen eines Landes Güter zu einem niedrigeren Preis exportieren, als sie im Inland verkauft werden. Das wird meist durch direkte Subventionen, Steuervorteile beim Export oder die Gewährung besonders vorteilhafter Exportkredite ermöglicht. Die EU-Kommission untersucht solche Konstellationen auf Beschwerde von Unternehmen, die mindestens 25 Prozent einer Branche repräsentieren, und kann Strafmaßnahmen vorschlagen. Diese Zollaufschläge oder seltener Quoten müssen dann von den Mitgliedsstaaten mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Derzeit sind etwa 150 Maßnahmen in Kraft. Die meisten gegen China, Indien und Russland.