Erste "Wiener Zeitung" nach dem Zweiten Weltkrieg. | Thema: Die Länderkonferenz. | Wien. Man mag es als Zufall werten. Aber als die "Wiener Zeitung" am Freitag, dem 21. September 1945, erstmals nach dem Krieg wieder erschien, hatte sie neben einer Grußbotschaft Karl Renners ein Thema zu bieten, das sich für das Schicksal Österreichs von entscheidener Bedeutung erweisen sollte: "Montag - Länderkonferenz" lautete die schlichte Schlagzeile.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Nicht der Zufall, sondern die Folgen des Krieges wollten es, dass die "Wiener Zeitung" erst mit Verspätung gegenüber einigen anderen Tageszeitungen wieder erschien: Bei der "Wiener Zeitung" war nämlich die Druckmaschine zerstört, und es dauerte, bis ein Ersatz gefunden worden war.
"Ressurexit!"
Nun aber durfte Chefredakteur Ferdinand Reiter frohlocken: "Ressurexit, sie ist wieder da!", schrieb er im Leitartikel zur Nummer 1. Die Jahre des Nationalsozialismus, in denen die "Wiener Zeitung" erstmals seit ihrem Gründungsjahr 1703 nicht erschienen war, hatten der journalistischen Neugier nichts anhaben können: In Nummer 3 erschien ein Interview mit dem Kanzler der provisorischen Staatsregierung, Karl Renner.
"Österreich hat sich zur Selbstregierung reif gezeigt", erklärt Renner in dem Gespräch. Jetzt gehe es darum, "die Gesetzgebung und Verwaltung einheitlich über das ganze Staatsgebiet auszudehnen und vor allem die Einheit des Wirtschaftsgebietes wiederherzustellen. Ohne diese Einheit ist eine vernünftige Planung im Verkehrs- und Ernährungsbereich unmöglich, und ist insbesondere eine geschlossene Aktion des wirtschaftlichen Wiederaufbaus undenkbar."
Renner, der Taktiker
Ein Thema des Interviews wird auch später in der programmatischen Rede wieder auftauchen, mit der er die Delegierten der Länderkonferenz begrüßt: Die "Vereinbarungsregierung". In Wien konnte die aus SPÖ, ÖVP und KPÖ bestehende provisorische Staatsregierung Beschlüsse nur einstimmig fällen. Dies soll auch nach der Länderkonferenz gelten, wünscht sich Renner: "Es ist kein anderes System denkbar, das den Willen des gesamten Volkes in so demokratischer Weise zum Ausdruck und zum Durchbruch brächte."
In dieser Rede, deren erster Teil in der "Wiener Zeitung" vom 25. September erscheint, erweist sich Renner wieder als gewiefter Taktiker: Einerseits lobt er die Rote Armee für ihre Hilfe, vergisst aber auch nicht, sich bei den westlichen Alliierten zu bedanken. Und schließlich versucht er den westlichen Bundesländern, die seine Zusammenarbeit mit den Sowjets und den Kommunisten argwöhnisch beäugen, unter Hinweis auf die unterschiedliche Ausgangssituation den Wind aus den Segeln zu nehmen: Nachdem "die verblendete deutsche Heeresführung" Ostösterreich zum Kriegsschauplatz gemacht hatte, wurde dem Osten "jede Berechtigung genommen zu klagen, und nichts übrig gelassen, als zu dulden und zu gehorchen", führt Renner aus. "Das östliche Österreich stand ganz unter dem Völkerrecht des Waffenganges, das westliche bloß unter dem der Okkupation - ein bedeutender Unterschied, der hinterher den meisten Kritikern entgeht."
In der gleichen Dienstag-Ausgabe sind übrigens die Beschlüsse der ÖVP-Länderkonferenz vom 23. September in Salzburg nachzulesen, in denen unter anderem gefordert wird, in die neue Bundesregierung Vertreter der Länder aufzunehmen. Schon am 29. Juli war man erstmals in Salzburg zusammen gekommen, um die prinzipielle Bereitschaft, die Renner-Regierung anzuerkennen, an diese, aber noch an eine weitere Bedingung zu knüpfen: An die Ablöse des kommunistischen Staatssekretärs (Ministers) für Inneres, Franz Honner. Leopold Figl, Felix Hurdes und Julius Raab reisen in den Westen und versuchen zu erklären, dass die sowjetische Besatzungsmacht einer solchen Ablöse nicht zustimmen werde.
Dennoch ist der kommunistische Innenminister auch bei der Länderkonferenz noch Streitpunkt. Die westlichen Vertreter drohen zum Teil mit Abreise, die Verhandlungen drohen zu scheitern. Schließlich wird vom oberösterreichischen Sozialisten Ernst Koref der entscheidende Kompromissvorschlag gemacht.
Einigkeits-Appelle
Von den internen Querelen bekommen die Zeitungsleser dieser Zeit nichts mit. Sie erfahren lediglich, dass die Vertreter Tirols und Vorarlbergs wegen eines Unwetters - in Wirklichkeit hatten die Vorarlberger einen Autounfall - erst mit Verspätung bei der Konferenz eintreffen. Ansonsten müssen sie zwischen den Zeilen lesen, wenn Renner fast flehentlich um Einigkeit und Einigung appelliert: "Ich erwarte nicht, daß jemand mit seiner Meinung hinter dem Berg hält, aber ich hoffe, daß alle sich auf irgendeiner mittleren Linie, im Hinblick auf unsere Zukunft und im Hinblick auf unser Land, einig werden." Auch der niederösterreichische ÖVP-Landeshauptmann Leopold Figl, der im unzerstört gebliebenen Landhaus als Gastgeber fungiert, argumentiert ähnlich.
Am 27. September kann die "Wiener Zeitung" jedenfalls den "Triumph der Einigkeit" vermelden. Der euphorisch geschriebenen Einleitung folgen die konkreten Resultate und Beschlüsse: Der Tiroler Karl Gruber wird Unterstaatssekretär in der Staatskanzlei (Auswärtiges Amt). Das Außenamt hatte zuvor Renner selbst mitgeführt. Drei weitere neue Regierungsmitglieder kommen aus der ÖVP, während SPÖ und KPÖ nur jeweils einen Unterstaatssekretär unterbringen.
Aber alle Bundesländer haben nun einen Vertreter in der Regierung, die mit 39 Mitgliedern eine nie wieder erzielte Rekordgröße erreicht. Und der Konflikt um den Kommunisten Honner ist gleichfalls entschärft. Er kann Innenminister bleiben, aber die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen, die ihm die ÖVP-Länder nicht überantworten wollten, wird von einer Kommission unter dem Vorsitz des neuen ÖVP-Unterstaatssekretärs Josef Sommer übernommen.
Als Wahltermin wird der 25. November in Aussicht genommen, ein Termin, der von einer späteren Länderkonferenz fixiert wird. Noch ein wichtiges Ereignis wird am Rande der Konferenz bekannt: Die Alliierte Kommission teilt mit, dass ab 1. Oktober der normale Postverkehr in ganz Österreich wieder aufgenommen werden kann.
Tirol für Wien
Die Euphorie über die in nur drei Tage zustande gekommene Einigung ist auf allen Seiten groß: "Die Stimmung für Wien ist in Tirol ganz anders als im Jahre 1918", zitiert der "Wiener Kurier" den frisch gebackenen Unterstaatssekretär Gruber, "damals war sie gegen die Hauptstadt - heute, nachdem das deutsche Experiment hinter uns liegt, ist sie für Wien".
Und die "Wiener Zeitung" schreibt über die Reaktion auf Renners Schlussworte: "Stürmischer, sich immer wieder erneuernder Beifall und Händeklatschen im Saale und auf der Galerie."