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Euphorie in Seoul

Von WZ-Korrespondent Fabian Kretschmer

Politik

Die Annäherung zwischen den USA und Nordkorea löst in Südkorea große Hoffnungen aus - und ist ein Erfolg für Präsident Moon Jae-in.


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Seoul. Geschichtsträchtig, unglaublich, beispiellos: Die Einigung über ein gemeinsames Gipfeltreffen zwischen Donald Trump und Kim Jong-un lässt sich nur mit Superlativen beschreiben. Erstmals wird Ende Mai ein US-Präsident auf Nordkoreas Machthaber treffen. Südkoreas Präsident Moon Jae-in nannte dies einen "historischen Meilenstein" auf dem Weg zu Frieden auf der koreanischen Halbinsel.

Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet in den US-Medien die Zweifler und Nörgler überwiegen: Der diplomatisch ungeschickte Trump würde sich bei den Verhandlungen über den Tisch ziehen lassen; und überhaupt solle ein US-Präsident sich nicht mit einem Tyrannen zu Gesprächen treffen, lautete der Tenor.

In Seoul bietet sich jedoch ein gegensätzliches Bild: In der Vergangenheit haben die Südkoreaner auf die wiederholten Atomtests Pjöngjangs mit demonstrativen Schulterzucken und Gleichgültigkeit reagiert. An diesem Donnerstag war das politische Interesse in den sozialen Medien und in Tischgesprächen ungewöhnlich hoch.

Große Überraschung

"Die Leute um mich herum waren alle so überrascht wie ich. Noch vor zwei Monaten mussten wir schließlich noch einen Krieg fürchten", sagt die 34-jährige Flugbegleiterin Kim Ji-yoon beim Feierabendbier im Seouler Hipster-Viertel Gyeongnidan.

Auf dem Bartisch hat sie ein Glas DMZ-Ale stehen, benannt nach der Waffenstillstandslinie des geteilten Landes: "Vielleicht kann ich jetzt darauf hoffen, eines Tages nach Nordkorea reisen zu können." Ein US-nordkoreanisches Gipfeltreffen sei in jedem Fall ein Fortschritt.

"Dass die Leute in Seoul besonders euphorisch sind, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sie es leid sind, die Risiken des Nordkorea-Konflikts auf ihren Schultern tragen - und nicht irgendwelche Nordkorea-Experten in der Ferne", sagt Andray Abrahamian, der mit der NGO Choson Exchange regelmäßig Bildungsseminare in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang geleitet hat. Der gebürtige Brite glaubt - bei aller gebotenen Vorsicht -, dass mit Trump und Kim "zwei mächtige Männer aufeinandertreffen, die nicht ängstlich sind, Veränderungen herbeizuführen".

Günstiger Zeitpunkt

Ausgerechnet Trump scheint mit seiner unkonventionellen, unberechenbaren Art der richtige Politikertyp zur Auflockerung des jahrzehntealten, festgefahrenen Konflikts zu sein - nicht zuletzt, weil er den größten Deal seiner Amtszeit wittert. Der Zeitpunkt ist zudem mehr als günstig: Washington wird das Gipfeltreffen als Erfolg seiner Sanktionspolitik verkaufen, Pjöngjang hingegen als Folge seines Atomprogramms deuten. Entscheidend ist jedoch, dass im Vergleich zu früher, Südkorea nicht außen vorgelassen wird, sondern aktiv an dem Entscheidungsprozess beteiligt ist. Schließlich war es Moon Jae-ins Sicherheitsberater Chung Eui-yong, der die Botschaft von Kim Jong-un überbracht hat.

Ohne Frage wird Südkoreas Präsident diesen Moment auskosten: Der Sohn nordkoreanischer Flüchtlingseltern, der sein politisches Leben lang für Frieden auf der Halbinsel gekämpft hat - und schließlich die Olympischen Winterspiele im eigenen Land diplomatisch galant zur innerkoreanischen Annäherung genutzt hat, ohne die US-Allianz zu verraten. Damit gelang ihm ein beachtenswerter diplomatischer Drahtseilakt. Südkoreas Präsident ist damit endgültig zum Hoffnungsträger seiner Nation geworden - mit anhaltenden Beliebtheitswerten von mehr als 70 Prozent.