Höhere Summen, mehr Kompetenzen. | Barroso: "Nicht wegen Portugal oder Spanien." | Auftakt für engere wirtschaftliche EU-Kooperation. | Brüssel. Jetzt will die EU ganz große Waffen auffahren: Konkret soll der nominell 750 Milliarden Euro schwere Rettungsschirm für die Gemeinschaftswährung rasch und massiv ausgebaut werden. Das forderten Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und Wirtschaftskommissar Olli Rehn am Mittwoch. Für die längerfristige Stabilität der Eurozone stellten sie ihr Konzept einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen des sogenannten Europäischen Semesters vor. Dabei setzt es EU-Vorgaben für die Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten. | Analyse: Ein großer Schritt für Europa - aber zu klein, um die Schuldenkrise zu stoppen
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Doch der Reihe nach: Schon jetzt hat die EU den größten Rettungsschirm gespannt, den sie jemals hatte. Jetzt will ihn die Kommission noch deutlich aufstocken - was aber nichts damit zu tun habe, dass Portugal und Spanien demnächst darunterschlüpfen müssten, meinte Barroso. Es handle sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme und sei ein wichtiges Instrument, um den Märkten zu zeigen, dass die Stabilität des Euro keinesfalls angetastet werden könne.
Dafür müsse sowohl das Ausmaß als auch der Aktionsradius des Schirms ausgeweitet werden, erklärte Rehn. Er bezieht sich dabei nur auf jenen Teil, der unter dem Namen "European Financial Stability Facility" (EFSF) zumindest in Fachkreisen zu einiger Bekanntheit gekommen ist. Es handelt sich um eine Spezialfinanzierungsgesellschaft der Eurozone, die zugunsten von Mitgliedsländern, die am finanziellen Abgrund stehen, Geld am Markt besorgen kann. Bedingung für ihren Einsatz ist ein rigides Spar- und Restrukturierungsprogramm, das zusammen mit dem Währungsfonds (IWF) ausgearbeitet wird. Das betroffene Euroland wird also de facto wirtschaftspolitisch unter Kuratel gestellt; bisher betroffen ist nur Irland. Denn Griechenland wurde ja bereits im Frühjahr in einer Ad-hoc-Operation mit bilateralen Hilfskrediten gerettet.
Drastische Aufstockung
Um die Tumulte um die Griechenland-Hilfe zu vermeiden, wurde die EFSF ins Leben gerufen und mit 440 Milliarden Euro Garantiekapital versehen. Weil die Ratingagenturen für ihre Top-Bewertung aber 120-prozentige Überdeckung und zusätzliche Bar-Rücklagen forderten, liegt die tatsächlich verfügbare Summe nur bei 250 bis 260 Milliarden Euro. Der Wegfall von Griechenland und Irland drückt den Betrag weiter.
Wie genau sich Rehn die EFSF-Aufwertung vorstellt, sagte er noch nicht. Unter der Hand war zu erfahren, dass die Kommission einige Sympathie für eine Aufstockung des verfügbaren Betrags auf den nominellen Wert hat. Das würde eine Erhöhung der Garantiesumme um rund 200 Milliarden Euro erfordern, meinte ein EU-Beamter.
Für die Ausweitung des Aktionsradius sind zwei Punkte im Gespräch: Wenn ein Euroland das von der Kommission vorgeschriebene Sparprogramm auf Punkt und Komma einhält, auf den Märkten aber dennoch "unfair" hohe Refinanzierungskosten hätte, soll es bei der EFSF Kreditlinien beantragen können, ohne gleich unter Kuratel gestellt zu werden. Zudem soll die EFSF auch auf dem Sekundärmarkt tätig werden können, also wie derzeit die
Europäische Zentralbank Anleihen von Euro-Wackelkandidaten aufkaufen dürfen.
Neben dieser Feuerwehraktion widmeten Barroso und Rehn ihren Auftritt der Erläuterung des Europäischen Semesters, das nach seiner sechsmonatigen Ablaufdauer benannt ist. Schon ab kommender Woche sollen die Schwerpunkte der Haushalts- und Wirtschaftsprioritäten sowie die Wirtschaftsentwicklung für 2012 in allen Fachministerräten detailliert ausgearbeitet werden.
Sparen und Wachstum müsse das gemeinsame Ziel sein, so Rehn. Gleich vorab plädierte für mehr indirekte Steuern und schrieb Staaten mit großen Leistungs bilanzüberschüssen (wie Deutschland) die Stärkung der Inlandsnachfrage ins Merkheft.
Budgethoheit bleibt
Auf dieser gemeinsamen Basis müssen die Mitgliedsländer dann Ende April ihre Haushalts- und Reformprogramme vorlegen, welche die Kommission detailliert beurteilt und die noch einmal von den Staats- und Regierungschefs Ende Juni nachjustiert werden.
Erst dann und nach diesen Vorgaben dürfen die Mitgliedstaaten ihr Budget ausarbeiten, beschließen und so die "Haushalthoheit wahren", wie Rehn es ausdrückte. Sollten die Mitgliedsländer nicht mitspielen, winken zumindest theoretisch horrende Geldstrafen.
Wissen
Der Euro-Rettungsschirm beläuft sich auf einen Gesamtbetrag von bis zu 750 Milliarden Euro - allerdings nur nominell. Davon kommen 440 Milliarden Euro von der "European Financial Stability Facility" (EFSF), einer Spezial finanzierungsgesellschaft der Eurozonenländer, die für diese garantieren. 60 Milliarden Euro stammen aus dem "European Financial Stability Mechanism" (EFSM), der bei der EU-Kommission angesiedelt ist und für den die gesamte EU haftet. Kreditlinien in der Höhe von 250 Milliarden Euro hat der Internationale Währungsfonds (IWF) in Aussicht gestellt.
Der ESFM hat heuer bereits fünf Milliarden Euro auf den Kapitalmärkten zu Gunsten Irlands aufgestellt. Die EFSF soll demnächst folgen. Nicht weniger als 16,5 Milliarden Euro will sie laut ihrem Chef Klaus Regling heuer zu möglichst günstigen Zinssätzen besorgen.
Für sie bürgen die Euroländer entsprechend ihrer Wirtschaftskraft. Deutschland führt mit knapp 120 Milliarden Euro vor Frankreich mit fast 90 Milliarden. Österreich ist mit gut 12,2 Milliarden Euro beteiligt. Im Idealfall ist die EFSF für ihre Gesellschafter ein Geschäft, weil sie auf den Kapitalmärkten viel weniger an Zinsen bezahlen muss, als jenen Satz, zu dem sie das Geld weiterreicht. Nur wenn ein Land irreparabel pleitegeht, was derzeit theoretisch gar nicht möglich ist, wäre das Geld weg.