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Euro-Schicksal hängt an Frankreich

Von Hermann Sileitsch und Konstanze Walther

Wirtschaft

Frankreichs Bestnote schlecht abgesichert. | Abstufung könnte Euro-Rettungsfonds kippen. | US-Staatspapiere sind kurzfristig sogar unter Gewinnern.


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Brüssel/Wien. Welches Land ist noch finanziell solide, wenn sogar die USA ihre Bestnote verloren haben? Nur Norwegen, lautet die etwas radikale Antwort des "Economist"-Verlages: Nach Ansicht der Experten ist der nordeuropäische Staat, der sich der Öleinnahmen kaum erwehren kann und für den Budgetdefizit ein Fremdwort ist, der einzige, dessen Kreditwürdigkeit ein "Triple-A" verdient.

Norwegische Staatsanleihen wären also ein außerordentlich sicheres Investment. Freilich sind die Nordeuropäer nicht im großen Stil auf Kredite angewiesen. Norwegen kann also das Problem von Investoren, die einen sicheren Hafen für ihre Veranlagung suchen, nicht lösen.

Zwar sind nicht alle Analysten, die Ratings vergeben, ganz so harsch. Aber der Klub der Länder mit höchster Kreditwürdigkeit wird zusehends exklusiver: Die amerikanische Ratingagentur Standard & Poors (S&P), die am Wochenende die Note der USA von AAA auf AA+ gesenkt und die Sitation noch dazu mit negativem Ausblick versehen hat, führt nur noch 18 Länder mit diesem begehrten Gütesiegel (siehe Grafik) - und dabei sind die britischen Steueroasen Isle of Man und Guernsey sowie die Wirtschaftsmetropolen Singapur und Hongkong bereits mitgezählt.

USA profitieren sogar

Wie schwerwiegend ist der Verlust der Top-Bewertung? Üblicherweise steigen die Zinskosten für einen Staat, wenn seine Kreditwürdigkeit sinkt. Mit gutem Grund: Die Investoren lassen sich ihr höheres Risiko abgelten. Dazu kommt, dass Fonds mit besonders strengen Richtlinien nicht in Papiere investieren dürfen, welche nicht von allen großen Agenturen die beste Note erhalten. Dadurch entsteht Verkaufsdruck, der die Anleihenkurse sinken lässt - und die gegenläufigen Renditen, welche die Zinskosten für die Neuverschuldung des Staates widerspiegeln, steigen.

Die USA allerdings tanzen einmal mehr aus der Reihe: Die Märkte reagierten am Montag völlig paradox auf die schlechten Nachrichten vom Wochenende. Trotz der gesunkenen Kreditwürdigkeit wurden die US-Staatsschuldpapiere ("Treasuries") besser bewertet, die Kurse stiegen. Im Gegenzug fiel die Rendite zweijähriger US-Anleihen zeitweise sogar auf ein Allzeittief. Auch in den übrigen Laufzeiten gingen die Renditen (Zinsen) zum Teil deutlich zurück.

Der Grund ist, dass die US-Papiere eine Art globaler Standard für risikoarme Veranlagung sind und es in der Praxis keine Alternative gibt, die annähernd so stark gehandelt wird. Ob und wie sehr die Kosten für die Finanzierung des US-Staatshaushaltes langfristig steigen, ist somit nicht einmal im Ansatz abschätzbar.

Obwohl US-Finanzminister Timothy Geithner die Abwertung durch S&P als katastrophale Fehleinschätzung geißelte, könnten die Vereinigten Staaten relativ günstig davonkommen.

Für die Eurozone stünde bei einer Abstufung viel mehr auf dem Spiel: Wenn eines der verbliebenen sechs Länder (Deutschland, Österreich, Niederlande, Finnland, Luxemburg, Frankreich) seine Bestnote verliert, käme die Konstruktion des Euro-Rettungsfonds EFSF ins Rutschen.

Damit die EFSF-Schuldpapiere, welche zur Finanzierung der Hilfsmaßnahmen für Portugal, Irland und nun auch Griechenland dienen, eine Bestnote haben, sind umfangreiche Garantien der Geberländer notwendig - vorrangig von den Ländern mit hoher Kreditwürdigkeit.

Ganz besonders gilt das für Frankreich, das zusammen mit Deutschland die Hauptlast bei den Garantien für die Euro-Rettung schultern muss. Besonders bitter: Ausgerechnet das Triple-A-Rating der Franzosen ist nach Meinung vieler Beobachter das schwächste Glied im Euro-Sextett.

"Wenn man im weiteren AAA-Universum auf Frankreich schaut, ist es definitiv eines der Länder mit dem schwächsten Kenngrößen für öffentliche Finanzen", sagt Maria Malas-Mroueh von Fitch, einer weiteren großen US-Ratingagentur - mit einem französischen Minderheitseigentümer.

"Es ist kaum vorstellbar, dass sich S&P in Zukunft zurückhält", sagt Mohamed El-Erian, Chef des größten Anleihenhändlers Pimco. Vielmehr sei wahrscheinlich, dass noch mindestens ein weiteres Mitglied des AAA-Klubs herabgestuft werde, meint El-Erian, auch er habe dabei Frankreich im Hinterkopf.

Frankreich wächst kaum

Zwar versicherte S&P-Europa-Experte Jean-Michel Six am Sonntag in einem Radiointerview, dass Frankreichs AAA-Benotung stabil sei. Allerdings hatte dieselbe Agentur schon im Juni gewarnt, dass die Grande Nation langfristig sehr wohl um ihre Spitzenbonität bangen müsse. Mitte bis Ende des Jahrzehnts könne die Bestnote AAA in Gefahr geraten, wenn Frankreich nicht mit Reformen entschlossen gegensteuere. Insbesondere Gesundheitswesen und Pensionssystem stehen auf dem Prüfstand. Präsident Nicolas Sarkozy, der um seine Wiederwahl im kommenden Jahr ringt, hat der Verteidigung der Bonität oberste Priorität eingeräumt und bereits im vorigen Jahr eine unpopuläre Rentenreform eingeleitet.

Doch die aktuellen Wirtschaftsdaten zeigen, dass Frankreich am stärksten gefährdet ist, aus der Elitetruppe herauszufallen. Es hat das höchste Defizit und die meisten Schulden unter den AAA-Ländern. Die Regierung geht davon aus, dass die öffentliche Verschuldung nächstes Jahr 86,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen wird, bevor eine Kehrtwende erreicht werden kann. Die OECD stuft die Verschuldung sogar noch höher ein. Ministerpräsident Francois Fillon gab jüngst zu bedenken, dass das neue griechische Sparpaket die Schuldenquote noch weiter in die Höhe treiben könnte.

Und auch das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone gibt Anlass zur Sorge: Für das dritte Quartal erwartet die französische Nationalbank nur moderate Zuwächse. Gegenüber dem zweiten Vierteljahr werde das Plus lediglich 0,2 Prozent erreichen, hieß es am Montag. Frankreich würde nur noch halb so schnell wie die Eurozone insgesamt wachsen.

Risikoprämie explodiert

Den hypernervösen Märkten ist das Schwächeln nicht verborgen geblieben. Noch vor dem Euro-Krisengipfel zu Griechenland am 21. Juli war die Rendite für französische Staatsanleihen binnen weniger Wochen auf mehr als das Doppelte gestiegen. Besonders deutlich zeigt sich die Verunsicherung anhand der Kosten für Kreditausfallversicherungen (CDS): Für französische Staatsanleihen werden viel höhere Aufschläge verlangt - die Absicherung von 10 Millionen Euro verteuerte sich am Montag von 144.500 auf 160.000 Euro.

Paris steuert dagegen

Allerdings schießen die Märkte in Zeiten hoher Nervosität gerne über das Ziel hinaus. Vereinzelt gibt es auch positive Signale für die Grande Nation. Der Kreditversicherer Coface bewertet Frankreichs Zahlungsfähigkeit zwar "nur" mit der zweitbesten Note A2 - allerdings schafft nur ein Euro-Mitglied, nämlich Luxemburg, die Note A1.

Frankreich wird überdies mit positivem Ausblick geführt. Die Basis sei gut, heißt es bei Coface auf Anfrage der "Wiener Zeitung": "Für 2011 erwarten wir ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent. Der private Konsum - ein wichtiger Wirtschaftsfaktor - ist stabil. Und auch die Exporte sollten im heurigen Jahr weiter ansteigen." Genau das war bisher eine Achillesferse:: Die Unternehmen sind zu wenig exportorientiert.

Problematisch seien überdies die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Schwäche der kleinen und mittleren Unternehmen.

Frankreichs Politik hat den Wink verstanden: Finanzminister Baroin kündigte die Sanierung der Sozialversicherung sowie eine Steuerreform für Herbst an. Und Sarkozy warb in einem für Frankreich höchst unüblichen Vorstoß dafür, eine Art Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in die Verfassung einzubauen.