Umverteilung in der EU soll Auseinanderdriften stoppen. | EU soll internen Standortwettbewerb beilegen. | Wiener Zeitung:Das Ur-Anliegen von Attac, die Finanztransaktionssteuer, schien bereits vom Tisch, weil weltweit die Bankensteuer forciert wird. Sehen Sie jetzt wieder mehr Chancen?
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Karin Küblböck: Momentan ist es überhaupt schwierig vorherzusagen, was passieren wird. Der Rettungsschirm, der jetzt beschlossen wurde, geht weiter, als wir gedacht hätten - etwa dass die EZB Anleihen kaufen darf oder es eine Art Euro-Anleihe geben wird.
Der Druck wird steigen, sodass es neue Einnahmen braucht. Da wäre die Finanztransaktionssteuer auch pragmatisch gesehen ideal, weil sie in relativ kurzer Zeit recht hohe Einnahmen generieren könnte.
Wie wollen Sie zwischen "guter" und "böser" Spekulation unterscheiden?
Die Steuer trifft alle Transaktionen. Es gibt aber weithin Konsens, dass besonders kurzfristige Geschäfte und hohe Volumina schädlich sind. 97 bis 99 Prozent aller Finanztransaktionen haben heute überhaupt keine Relation mehr zu einem Handelsgeschäft oder einer Direktinvestition. Ebenso die Derivate - das sind großteils reine Wetten.
Würden Sie diese verbieten?
Ich würde Leerverkäufe verbieten und Derivate davon abhängig machen, ob man mit dem Grundgeschäft zu tun hat. Um sich gegen Rohstoffpreisschwankungen abzusichern, müsste man also Rohstoffhändler sein. Oder Kreditausfallsversicherungen (CDS, Anm.): Warum sollte man diese kaufen und auf den Bankrott von Staaten spekulieren können, wenn man die Staatsanleihen gar nicht besitzt?
Verzerrt es nicht den Markt, wenn man nur auf steigende, aber nicht auf fallende Kurse setzen kann?
Wir haben gesehen, dass die freien Märkte überhaupt nicht funktionieren. Es ist ein Mythos, dass diese zu Gleichgewichten führen. Stattdessen werden Blasen aufgebaut und es geht nur darum, der Letzte zu sein, der aussteigt, bevor sie platzen. Alle haben gewusst, dass der Immobilienmarkt in den USA und Spanien überbewertet ist. Draufgezahlt haben einfache Leute, denen eingeredet wurde, dass die Preise immer weiter steigen würden.
Stichwort Griechenland: Haben nicht gerade risikoscheue Anleger wie Pensionsfonds durch Verkäufe den Druck auf Staatsanleihen erhöht?
Wir haben bei Griechenland auch Probleme, die nicht nur durch Spekulation ausgelöst wurden, etwa das hohes Budgetdefizit. Aber in der Debatte kommen die strukturellen Probleme der Europäischen Union zu kurz. Wir brauchen eine gemeinsame Wirtschaftspolitik und harmonisierte Vermögens- und Unternehmenssteuern. Sonst deklarieren die Unternehmen und die Vermögenden ihre Einkommen immer dort, wo die geringsten Steuersätze sind. Auch Österreich hat etwa durch das strenge Bankgeheimnis hier Steueroasen-Charakter.
Deutschland ist in der Misere ebenso Täter wie Griechenland, weil deutsche Produkte durch das Lohndumping permanent an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen - auf Kosten der anderen. Die Überschüsse der einen Länder sind die Defizite der anderen.
Wenn sich Lohnabschlüsse an Wachstum und Produktivität orientieren sollten, haben Länder wie Griechenland oder Portugal aber weit über ihre Verhältnisse gelebt.
Das stimmt, aber die Löhne in Deutschland und Österreich sind noch stärker unterdurchschnittlich gewachsen. Offenbar ist Lohnzurückhaltung etwas total Tolles, dabei wäre die deutsche Wirtschaft ohne Exporte jedes Jahr geschrumpft. Dass ein Land nur exportiert, kann auf Dauer nicht gut gehen.
All Ihre Vorschläge - harmonisierte Steuern, höhere Löhne - gehen zulasten der Wettbewerbsfähigkeit. Die EU wächst doch ohnehin kaum. Wie weit sollen wir noch hinter Asien und die USA zurückfallen?
Ich glaube nicht, dass wir zurückfallen würden. Der Handel findet ohnehin hauptsächlich in der EU selber statt und dieser Binnenmarkt würde gestärkt. Mit Lohnsenkungen allein wird man jedenfalls nicht wettbewerbsfähig.
Es widerstrebt dem Hausverstand, dass sich die EU und Deutschland just an Griechenland orientieren sollten.
Gut, aber man kann auch nicht sagen, ihr müsst alle Deutschland werden und nur exportieren. Wohin denn? Die Länder in der EU stehen weiterhin in einem Standort-, Steuer- und Lohnwettbewerb. Diese Spirale nach unten kann auf Dauer nicht funktionieren.
Das Ziel, die wettbewerbsfähigste Region zu werden, hat die EU ja ohnehin weit verfehlt. Sollen wir das Ziel jetzt ganz aufgeben?
Wettbewerb zwischen Unternehmen ist schön, zwischen Staaten aber fatal - besonders innerhalb einer Wirtschaftsgemeinschaft. Durch eine harmonisierte Politik könnte Europa vielleicht sogar stärker werden. Die Unternehmen investieren nämlich trotz höherer Gewinne nicht mehr, sondern weniger, weil die Gewinne auf die Finanzmärkte geflossen sind.
Wie weit würden Sie bei der Harmonisierung gehen: Wäre denn ein EU-Finanzausgleich wünschenswert?
Ich glaube schon, dass wir ein höheres EU-Budget brauchen. Derzeit sind das nur 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die EU-Kommission sollte aber nicht den Wettbewerb unter den Staaten anheizen, sondern für Ausgleich, für soziale Kohäsion und regionale Integration sorgen.
Plakativ formuliert: Deutsches und österreichisches Steuergeld für den Aufbau der Industrie in Griechenland?
Es wird eine gewisse Umverteilung brauchen, um das Auseinanderdriften zu stoppen, aber auch im Eigeninteresse: Ein Grund für den Marshall-Plan der USA war der Wiederaufbau Europas nach dem Krieg. In einer globalen Wirtschaft kann es mir eben nicht egal sein, wie sich die anderen Länder entwickeln.
Länder wie Griechenland haben ohnehin von den niedrigen Zinsen der Währungsunion profitiert, ohne die Chance für Investitionen zu nutzen.
Griechenland hat auch eine Mitschuld, weil akzeptiert wurde, dass große Teile der Bevölkerung keine Steuern zahlen. Mich ärgert aber dieses Griechenland-Bashing, wobei keiner fragt, wo die Politik-Versäumnisse sind. Gerade manche deutsche Konzerne haben die Korruption auch mitgetragen und ordentlich Schmiergeld gezahlt.
Sehen Sie denn eine Alternative zum Sparkurs in Griechenland?
Ich sage nicht, dass nicht gespart werden muss, aber es muss auch in die Zukunft investiert; nicht nur bei den unteren Einkommen gekürzt werden. Laut Schätzungen könnte der Binnenmarkt in Griechenland um 20 Prozent einbrechen, was ein Wahnsinn wäre. Was fehlt, ist ein geordnetes Insolvenzrecht für Staaten. Bei Unternehmen verzichten Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen, damit dieses weiterleben kann. In den USA ist das für Gebietskörperschaften bereits möglich.
Der Verzicht der Gläubiger ist aber nur eine Seite. Es wäre auch zu diskutieren, wieweit diese Zugriff auf öffentliches Vermögen erhalten.
Staatsanleihen sind derzeit aufgrund von Risikoaufschlägen sehr hoch verzinst. Das heißt, man verdient viel Geld, hat aber ein Risiko. Sie können auch nicht zur Bank gehen und garantierte 15 Prozent Zinsen fordern.
Dann wären also die hohen Zinsen, die Griechenland zahlen musste und die dem Land eine Schuldenfinanzierung auf dem Markt unmöglich gemacht haben, angemessen?
Das Problem ist wie schon bei den Banken, dass die Marktteilnehmer der Ansicht sind, sie können machen, was sie wollen, weil sie ohnehin gerettet werden. Sie verlangen Aufschläge für ein Risiko, ohne dieses tragen zu wollen. Die Gläubiger sollten deshalb verzichten müssen, zum Beispiel auf einen Teil der Zinsen.
Einen großen Teil der griechischen Papiere halten aber die Banken. Somit würde wohl erst recht der Steuerzahler für eine zweite Rettungsrunde zur Kasse gebeten.
Wahrscheinlich ist das so, aber man darf die Banken auch nicht gleichsetzen mit dem Staat - wie das in Österreich geschehen ist, als Finanzminister Pröll die Außenstände der Banken mit den Kosten des Hilfspakets gegengerechnet hat. Ich will keine Bank krachen lassen. Aber: Sie wurden eben erst gerettet, machen schon wieder Gewinne und müssen nie etwas beitragen?
Karin Küblböck arbeitet für die Österreichische Forschungsstiftung für internationale Entwicklung (ÖFSE) und ist Gründungsmitglied der globalisierungskritischen NGO Attac.