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Eine vernünftig organisierte EU ist im Interesse ihrer Mitgliedstaaten. Der Verweis auf "Krieg und Frieden in Europa" ist daher entbehrlich.
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Wenn es keine EU gäbe, so Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy jüngst in New York, werde es "Krieg in Europa" geben. Sarkozy hat damit vor allem bewiesen: dass er von den Franzosen offenbar mit gutem Grund abgewählt worden ist.
Denn zu behaupten, Franzosen und Deutsche oder Österreicher und Italiener würden ohne bürokratische Einhegung durch die Brüsseler Institutionen ihre Eurofighter-Staffeln aufeinander hetzten und Panzerdivisionen gen das benachbarte Feindesland rollen lassen, ist an Absurdität kaum zu überbieten. Dieser Logik folgend müsste es zwischen den Norwegern (nicht in der EU) und ihren schwedischen EU-Nachbarn permanent zu schweren Gefechten kommen.
Dass die EU eine notwendige Bedingung für den Erhalt des Friedens in Europa sei, wie das rund um die Verleihung des Nobelpreises an die Union nicht nur von Sarkozy zu hören war, ist nicht belegbar. Mit Recht hat der deutsche Soziologe Hans Joas dazu in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" eingewendet: "Mich schaudert es(...)vor diesem Tremolo in den Europa-Reden. Auch die Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts haben so getan, als sei die bisherige Geschichte geradewegs auf die Gründung von Nationalstaaten zugelaufen."
Dieses Tremolo ist besonders ärgerlich, weil es die EU nicht nötig hat, den europäischen Bürgern als einzige Möglichkeit angepriesen zu werden, die es verhindere, dass sie einander wieder im großen Stil gegenseitig massakrieren. Es gibt eine erhebliche Zahl viel realitätsnäherer Gründe, die für eine intensive Integration der europäischen Staaten und damit für eine wenn auch generalüberholte EU sprechen. Dabei geht es nicht um Krieg und Frieden, sondern einfach um das nationale Interesse der europäischen Staaten, eng miteinander zu kooperieren; wenn auch intelligenter, als das in der real existierenden Union der Fall ist. Der deutsche SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat deshalb zu Recht im Bundestag darauf hingewiesen, dass "der Krieg von 1914 bis 1945" heute nicht mehr als Narrativ der EU taugt.
Überstrapaziert wird das "Friedensprojekt EU" übrigens gelegentlich sogar im historischen Kontext. Aus Regierungsdokumenten der 1950er Jahre geht ziemlich klar hervor, dass der EU-Vorvorgänger "Montanunion" aus ganz robusten nationalen Interessen Frankreichs und Deutschlands entstanden ist: Die französische Schwerindustrie war an einem Zugang zu hochwertigen deutschen Rohstoffen zur Stahlherstellung interessiert - und Bonn daran, im Gegenzug Frankreich so kurz nach dem verlorenen Krieg wieder auf Augenhöhe als Partner gegenüberzustehen. Schon damals hat also - völlig legitimes - nationales Interesse etwas geboren, was heute als romantisches "Friedensprojekt" verklärt wird.
Dass sich die Politik trotzdem in ihren Reden jenes törichten Tremolos bedient, könnte freilich eine ganz simple Ursache haben: dass es wesentlich einfacher ist, Europa als "Frage von Krieg und Frieden" alternativenlos erscheinen zu lassen, als die EU als Produkt der Summe nationaler Interessen zu argumentieren.