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Europa aus der Schockstarre befreien!

Von Paul Schmidt

Gastkommentare
Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.

Eine Koalition der Willigen muss bei einer fairen Aufteilung von Flüchtlingen vorangehen.


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Der Umgang mit der aktuellen Flüchtlingskrise wird zur Nagelprobe für die Europäische Integration. Jetzt, da die Zahlen von Schutz- und Asylsuchenden, die nach Europa streben, immer neue Rekordwerte erreichen und dramatische Bilder auch in Mitteleuropa das Leid tausender Menschen unmittelbar fassbar machen, zeigt sich, wie sehr die einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Entwicklungen der vergangenen Jahre sträflich vernachlässigt haben.

Eine einheitliche, gesamteuropäische Strategie und länderübergreifende Solidarität im Umgang mit dieser Herausforderung fehlen. Dagegen mehren sich nationale Einzelmaßnahmen und Schuldzuschreibungen, die die Situation nur weiter verschärfen und europäische Werte und Grundrechte - und nicht zuletzt europäisches Recht selbst - aushebeln. Die Überforderung und Realitätsverweigerung maßgeblicher politischer Akteure in einzelnen EU-Mitgliedsländern befördern ein Klima, das Sorgen und Ängste in der Bevölkerung lediglich verstärkt statt mindert.

Der Flüchtlingszustrom nach Europa wird jedoch auch in den nächsten Monaten kaum nachlassen. Daher braucht es rasch konkrete Maßnahmen, die darauf abzielen, legale Wege zum Erhalt von Asyl und eine gerechte Verteilung der Asyl- und Schutzsuchenden innerhalb Europas zu schaffen. Die vom Flüchtlingsaufkommen am stärksten betroffenen Staaten - an den EU-Außengrenzen, am Westbalkan und im Nahen Osten - müssen finanziell wie logistisch stärker unterstützt werden, außerdem gilt es, die Anstrengungen zur Befriedung der Krisenregion selbst zu intensivieren.

Dazu muss die Flüchtlingsproblematik endlich in ganz Europa zur Chefsache gemacht und im Rahmen von Sondergipfeln der EU-Staats- und Regierungsspitzen behandelt werden.

So wichtig eine ganzheitliche Lösung wäre, so unrealistisch ist aber zum jetzigen Zeitpunkt auch ein Konsens der 28 EU-Staaten. Zu ausgeprägt sind die nationalen Egoismen in einigen EU-Ländern. Ein weiteres Zuwarten und Taktieren ist jedoch keine Option. Eine "Koalition der Willigen", der sich auch Österreich anschließt, muss daher - unter gemeinsamen Rahmenbedingungen - bei der Aufnahme von Flüchtlingen vorangehen. Dazu gehören eine Aussetzung des Dublin-III-Abkommens für Asylsuchende aus Syrien, eine Aufteilung nach länderspezifischen Quoten und identische Regelungen, die den Aufenthalt der Flüchtlinge vor Ort definieren. Um diese Länder in ihren Bemühungen zu unterstützen, müssen ausreichend EU-Mittel zur Verfügung gestellt werden. Mit Überzeugungsarbeit und politischem Druck sollte sich die Gruppe der aufnahmebereiten Staaten sukzessive erweitern.

In den vergangenen Tagen und Wochen konnten wir europaweit - und besonders auch hier in Österreich - ermutigende Beispiele von spontaner individueller Hilfe und zivilgesellschaftlichem Engagement erleben. Diese sollten zu einem Weckruf für eine aktivere Europapolitik werden. Wir Europäer müssen uns jetzt aus unserer Schockstarre befreien, vor Ort in den Krisenherden initiativ werden und bei uns zuhause alles tun, um Flüchtlingen zu helfen. Einen anderen Weg gibt es nicht.