Die EU wächst auf institutioneller Ebene, 14 Staaten wollen zu den derzeit 15 Mitgliedsländern aufschließen. Parallel dazu sucht Europa nach Identität. Der Thematik sind am Mittwoch zwei Veranstaltungen gewidmet: "Citizenship, Identity and Ethnicity in Europe" ist der Titel eines Workshops des Instituts für die Wissenschaft vom Menschen (IWM) in der Diplomatischen Akademie in Wien. Die erste "Winterakademie für Gesellschaftsanalyse" der Universität Graz steht unter dem Motto "Vereinigte Zivilgesellschaften Europas?".
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"Wer fürchtet sich vor Europa?" Der Titel des Projekts, das Slavenka Drakulic am Institut für die Wissenschaft vom Menschen in Wien durchführt, ist ein offener - so wie auch nationale Identitäten offen sind. Drakulic ist derzeit Milena Jesenská-Stipendiatin am IWM. Die Schriftstellerin und Journalistin mit kroatischen Wurzeln lebt in Schweden, Kroatien und Österreich. "Europa ist meine Heimat", sagt sie, um zu unterstreichen, dass sie das Thema auch tatsächlich lebt.
Doch was ist "Europa"? Jedenfalls mehr als ein wirtschaftlich ausgerichteter Staatenbund, wird von politischer Seite betont. Die Erweiterung der EU sei ein Projekt im Sinne der Demokratie. Gepaart ist die Diskussion um die EU-Erweiterung - wie beim Wegfall von Grenzen generell - mit feindlichen Ressentiments. Die wiederum politisch instrumentalisiert werden. Das Stichwort "Überfremdung" war in Österreich beispielsweise von der FPÖ zuletzt im Nationalratswahlkampf 1999 ausgereizt worden. Das sei keine neue Erscheinung von Faschismus, meint Slavenka Drakulic. Die Sorgen der Bevölkerung um "ihre" nationale Identität liegen vielmehr begründet in allzu raschen Veränderungen der Gesellschaft im Zuge der Globalisierung. Also reagieren Menschen, "wie sie immer auf Unbekanntes reagieren, mit einem Gefühl von Unsicherheit und Angst".
Was ist Heimat?
Nun ist aber nationale Identität kein Konzept, das ein für alle Mal festgelegt wird. "In neu errichteten Staaten wie Kroatien kann man derzeit beobachten, wie eine nationale Identität konstruiert wird", nämlich auf Grund von Mythen und der "Reinterpretation der Geschichte", meint Drakulic. Das beweise: "Nationale Identitäten liegen nicht in fertigen kulturellen, historischen oder sozialen Charakteristika begründet, die ewig gelten". Möglicherweise, so Drakulic, sei jetzt der richtige Zeitpunkt, um über einen Paradigmenwechsel in Sachen Identität nachzudenken und so der Fremdenfeindlichkeit in Europa entgegenzuwirken.
Der internationale Workshop zu "Staatsbürgerschaft und Identität in Europa" kommenden Mittwoch wird vom Institut für die Wissenschaft vom Menschen veranstaltet. Dabei soll u.a. der Frage von "Heimat" nachgegangen werden. Ein zentrales Element ist dabei wohl die Staatsbürgerschaft. Sie regelt die formale Mitgliedschaft zu einem Staat, aber auch die Partizipation der Bürger am Gemeinwesen.
"Transnationale" Staatsbürgerschaft?
Damit funktioniert die Staatsbürgerschaft als mächtiger Mechanismus von Identitätsbildung. Über die soziale Integration, Inklusion bzw. Exklusion entscheidet aber auch das Wahlrecht - auf nationaler, regionaler, kommunaler wie auf betrieblicher Ebene. Bei dem Workshop werden alternative Modelle zur nationalen Staatsbürgerschaft (eine "multikulturelle" oder gar "transnationale"?) diskutiert, wenngleich die öffentliche Debatte über die Weiterentwicklung der EU in einen möglicherweise föderalistischen Staatenbund wieder abgeflaut ist.
In ihrer politischen Identität - und zugleich Autorität - gestärkt wäre die EU mit einer eigenen Verfassung. Der erste Schritt dahin sollte mit der Grundrechtecharta gemacht werden. Ob sich Europa durch eine Verfassung einigen wird können, ist u.a. Gegenstand einer sozialwissenschaftlichen Analyse bei der Winterakademie "Vereinigte Zivilgesellschaften Europas?" ab Mittwoch in Bad Aussee. Veranstaltet wird sie erstmals vom Institut für Soziologie der Universität Graz.
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Workshop "Citizenship, Identity and Ethnicity in Europe", am 28. Februar in der Diplomatischen Akademie, 1040., Favoritenstr. 15A. Infos im Internet: www.iwm.at. Interessenten sollten sich beim Institut für die Wissenschaft vom Menschen unter Tel. 01/313 58 199, per Fax: 01/313 58 30 oder per e-mail: nicklas@iwm.at/ anmelden.
Steirische Winterakademie für Gesellschaftsanalyse 2001 "Vereinigte Zivilgesellschaften Europas?", vom 28. Februar bis 3. März. Infos unter Tel. 0316/380/3544 Dw. oder im Internet: www.uni-graz.at/sozwww/winterakademie/home.html/.