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"Europa bei Guantánamo gefordert"

Von Georg Friesenbichler und Klaus Huhold

Europaarchiv
Manfred Nowak, UN-Berichterstatter und Leiter des Boltzmann-Instituts. Foto: Newald

US-Lager auf Kuba ist "Spitze des Eisbergs" und mittlerweile ein "Symbol". | "Werden für Freigelassene Drittland brauchen." | "Wiener Zeitung": Aufgrund eines von Ihnen mitverfassten UNO-Berichtes über das US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba hat auch die Europäische Union die Schließung des Lagers verlangt. Warum ist das bis heute nicht geschehen?


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Manfred Nowak: Ein Großteil der Häftlinge von Guantánamo sitzt dort nicht, um vor ein Gericht gestellt zu werden. Sie sind dort, weil man von ihnen Informationen haben will. Zweitens, sagen die USA, diese illegalen Kämpfer haben wir am Schlachtfeld des internationalen Terrorismus festgenommen und wenn wir sie auslassen würden, dann würden sie sofort wieder dorthin zurückkehren. Jetzt hat sich allerdings eine neue Dynamik entwickelt, in der derzeit an einer Lösung gearbeitet wird. Maßgebliche Kreise der US-Regierung sind an einer Schließung von Guantánamo und an der Freilassung des Großteils der Häftlinge interessiert. Aber wohin, wenn man sie nicht in ihre Herkunftsländer zurück bringen kann?

Ist das der Grund, warum sich die versprochene Schließung von Guantánamo verzögert?

An sich hat Präsident George W. Bush, nachdem der Druck zugenommen hat - und ich glaube, dass unser UNO-Bericht schon eine gewisse Rolle gespielt hat - gemeint, dass er sich eine Schließung vorstellen kann. Die Amerikaner, die immer in der Rolle waren, Menschenrechtsverletzungen in fremden Ländern anzusprechen, werden nun ständig auf ihre eigenen angesprochen. Guantánamo ist zu einem Symbol geworden. Ursprünglich war das Problem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Sein Nachfolger Robert Gates ist jedoch wie Außenministerin Condoleezza Rice für die Schließung. Der wirkliche Gegenwind kommt von Vizepräsident Dick Cheney, der allerdings nach wie vor starken Einfluss auf Präsident Bush ausübt.

Und wer kann sich durchsetzen?

Wir sind derzeit in einer sehr interessanten Situation, wo doch maßgebliche Repräsentanten der amerikanischen Regierung gegen Guantánamo sind. Und jetzt geht es darum, ihnen eine Brücke zu bauen. Die europäischen Staaten müssten mit dem Pentagon und dem State Department enger kooperieren, indem man ihnen entgegen kommt und gemeinsam ein Ausstiegsszenario schafft, das wirklich überzeugend ist. In dem Sinn, dass für alle 375 Leute, die dort sitzen, eine Lösung gefunden wird. Dann würde sich der Druck auf Bush und natürlich auch auf Cheney noch einmal verstärken, weil auch die Zivilgesellschaft der USA Guantánamo loshaben will. Wenn aber die Europäer, wie leider auch das österreichische Außenministerium, auf dem Standpunkt stehen, das ist eigentlich ein amerikanisches Problem, das uns nichts angeht, dann ist die Dynamik genau eine umgekehrte. Dann stärkt man damit das Argument Cheneys, dass die Europäer die USA nur kritisieren und ihnen nicht helfen wollen. Gewisse Häftlinge können einfach nicht nach Ägypten, China oder Usbekistan zurückgesandt werden, da dort das Risiko der Folter oder sonstiger schwerer Menschenrechtsverletzungen zu groß ist. Für 100 bis 200 Guantánamo-Häftlinge werden wir daher ein Drittland brauchen.

Also brauchen wir ein europäisches Drittland für diese Häftlinge?

Nicht notwendigerweise. Es kann auch ein lateinamerikanisches oder ein islamisches Land sein. Aber in der islamischen Welt sind leider nicht sehr viele Staaten, die so hohe Standards haben, dass wir sie ohne Angst dorthin zurücksenden können. Aber Lateinamerika wäre beispielsweise eine Möglichkeit. Man kann schon das Argument der USA nachvollziehen, dass sie den Kampf gegen den Terrorismus nicht nur zum Schutz der USA führen. Insofern hat Europa eine größere Verantwortung, den Amerikanern beizustehen. Es ist ja schließlich dasselbe Europa, das zum Teil mit in den Irak gezogen ist. Und der Irak-Krieg hat nachweislich zu einer weiteren Schürung des Terrorismus beigetragen.

Ist es mit Guantánamo schon erledigt?

Natürlich nicht. Guantánamo ist die Spitze des Eisbergs und es ist ein Symbol. Und wie das mit Symbolen so ist, muss man zuerst versuchen, dort eine Strategie für Maßnahmen zu entwickeln. Aber noch inakzeptabler sind Geheimgefängnisse: So lange wir Hinweise darauf haben, dass es sie gibt, müssen wir dagegen ankämpfen. Schon die Tatsache, dass es Geheimgefängnisse gibt, ist das Verbrechen des erzwungenen Verschwindenlassens. Und damit verbunden ist die Erfahrung, dass man in Geheimgefängnissen normalerweise stärkeren Foltermethoden ausgesetzt ist als in einem Gefängnis, wo zumindest das Rote Kreuz Zugang hat. Ein wichtiger Schritt zu einer Lösung wäre hier, dass zumindest die europäischen Staaten nicht mehr kooperieren.

Europäische Staaten haben die Existenz dieser Gefängnisse abgestritten und geleugnet. Gibt es sie wirklich?

Solange wir wissen, dass es Personen gibt, die von den Amerikanern festgenommen wurden und von denen wir nicht wissen, wo sie sind, liegt leider der Schluss nahe, dass sie, wenn man sie nicht getötet hat, in einem geheimen Lager sitzen. Ob das in Europa ist, bezweifle ich heute. Ich glaube, dass es stimmt, dass die USA in Polen, Rumänien, aber auch in Bosnien Menschen illegal festgehalten haben. Ich glaube nicht, dass das heute noch der Fall ist.