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Europa bleibt sich treu

Von Alexandra Grass

Leitartikel
© WZ Online

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Moderne Gentechnik-Methoden sorgten in den vergangenen Jahren für eine immense Aufbruchstimmung. Mit der Genschere Crispr/Cas 9 sollte sich vieles ändern. Erstmals war es möglich geworden, im Erbgut von Pflanzen, Tieren und Menschen schnell, gezielt und präzise einzelne Erbgutbausteine umzuschreiben, ohne Fremdmaterial einschleusen zu müssen. Genmanipulation light könnte man meinen. Neben der Medizin hatte sich damit auch für die Lebensmittelproduktion eine Technologie aufgetan, die effektvolle Veränderungen schnell, günstig und scheinbar harmlos ermöglicht hätte.

Doch der Europäische Gerichtshof hat dieser Vision nun eine Absage erteilt und den Weg zum Einsatz der Methode in der Pflanzenproduktion mit Steinen gepflastert. Mit Crispr/Cas9 manipulierte Pflanzensorten gelten seit dem EuGH-Spruch vom Mittwoch rechtlich als gentechnisch verändert und müssen demnach als "gentechnisch veränderte Organismen" (GVO) gekennzeichnet werden. Davon ausgenommen sind nur jene mit dem Verfahren gewonnenen Organismen, die seit langem als "sicher" gelten. Die damit verbundenen Risiken seien vergleichbar mit jenen älterer Verfahren, die schon unter strengen Auflagen stehen, so die Begründung des Gerichts.

Es hätte eine heile Welt für die Pflanzenzüchter werden können. Denn auch sie stehen unter Druck. Mit immer wieder verbesserten Sorten wollen sie den wandlungsfähigen Schädlingen und Krankheitserregern Schritte voraus sein. Mit dem Verfahren könnte Saatgut mit Resistenzen gegen ausgewählte Herbizide entwickelt oder besonders lagerfähig gemacht werden. Zudem müssen die Erträge steigen, um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können. Die Umweltbedingungen, etwa durch den Klimawandel, sind hier nicht förderlich. Die Genschere käme der Landwirtschaft da wie gerufen.

Doch die EU bleibt sich beim Thema Gentechnik treu und verhindert eine ungezügelte Entwicklung. Vermutlich wird mit den geltenden strengen Auflagen der breite Einsatz der Methode verunmöglicht. Genmanipulierte Pflanzen unterliegen besonders strengen Vorschriften. Sie durchlaufen ein eigenes Zulassungsverfahren, müssen gekennzeichnet werden und im Produktionsprozess rückverfolgbar sein.

Der Weg, den Europa nun eingeschlagen hat, ist dennoch gutzuheißen. Selbst Wissenschafter mahnen ein, die Genschere mit Bedacht anzuwenden. Denn die Auswirkungen sind noch nicht absehbar. Für wirklich aussagekräftige Studien ist die Technologie einfach noch viel zu jung. Europa hat sich für Vorsicht entschieden - einmal mehr ein begrüßenswerter Schritt - dennoch nicht ohne Kosten.