Spannung vor Urteil am Dienstag. | Auflagen, aber keine Änderungen? | Frankfurt/Main. (ap) Es wird das Urteil des Jahres aus Karlsruhe und die Zukunft Europas auf viele Jahre beeinflussen: Das deutsche Bundesverfassungsgericht verkündet am Dienstag seine mit großer Spannung erwartete Entscheidung über den Reformvertrag von Lissabon.
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Die Iren lehnten den Reformvertrag im vergangenen Jahr in einem Referendum ab. In diesem Herbst wird die Abstimmung wiederholt. In der Debatte über den irischen Sonderweg ging fast unter, dass auch die Ratifizierungsurkunde aus Berlin fehlt. Ob Bundespräsident Horst Köhler die Urkunde unterschreiben kann, ist von den Richtern des Zweiten Senates abhängig. Die Beschwerdeführer, darunter der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, die Linksfraktion und mehrere Professoren, wollen die Ratifizierung durch Köhler verhindern. Sie sehen die Macht des Parlamentes als unzumutbar beschnitten. Im Bundestag sind die Skeptiker eine kleine Minderheit.
Laut Lissabon-Vertrag können etwa künftig die EU-Staaten einstimmig neue Straftatbestände einführen. Bisher konnte dies in Deutschland nur der Bundestag.
Wie das Urteil am Dienstag aussehen wird, können selbst erfahrene Europarechtler nicht vorhersagen. In der Verhandlung im Februar stellten die Richter einige Fragen, die überraschend deutlich Zweifel an dem Vertrag erkennen ließen. Am zweiten Verhandlungstag dagegen mussten vor allem die Beschwerdeführer kritische Fragen beantworten.
Die Richter befinden sich bei ihrer Entscheidung in einem Dilemma, das schwer gelöst werden kann: Denn wenn sie Änderungen an dem Dokument selbst verlangen, ist der mühsam ausgehandelte Vertrag tot, weil es als unmöglich gilt, ihn neu zu ratifizieren.
Eine Lösung könnte so aussehen, dass der Zweite Senat unter Vorsitz von Gerichtsvizepräsident Andreas Voßkuhle klare Regeln erlässt, unter denen die Bundesrepublik Deutschland dem Vertragswerk zustimmen darf. Möglich ist, dass die Verfassungsrichter dem Bundestag europarechtliche Kompetenzen auferlegen. Dann müssten manche Vorhaben in der EU erst von den Parlamentariern in Berlin gebilligt werden.