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Europa braucht mehr Integration

Von Guido Westerwelle

Gastkommentare

Die Schuldenkrise hat die Europäische Union vor die schwerste Belastungsprobe seit ihrer Gründung gestellt.


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Trotz intensiver Bemühungen ist es uns noch nicht gelungen, das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen. Schlimmer noch: In vielen Ländern ist das Vertrauen der Bürger ins europäische Projekt in Mitleidenschaft gezogen. Viele Mitgliedstaaten mussten ihren Bürgern tiefgreifende und schmerzhafte Einschnitte zumuten. Ich habe große Hochachtung vor dem Mut und der Entschlossenheit vieler Regierungen, auch unpopuläre Reformprogramme zu verwirklichen. Die deutsche Regierung hat bereits im vergangenen Jahr das größte Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg gebracht. Wir haben viel Kritik dafür einstecken müssen. Es war vorausschauend, wie man heute sieht.

Die Krise hat offenbart, dass die Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone stark auseinandergedriftet ist. In einigen Ländern ist es auch mit den historisch niedrigen Zinssätzen nach Einführung des Euro zu folgenschweren Fehlentwicklungen gekommen: Schulden wurden allzu leichtfertig aufgenommen, der Staatsapparat übermäßig aufgebläht, Investitionen in zukunftsträchtige Branchen kamen zu kurz, Aufsicht und Kontrolle über Banken und Finanzmärkte waren unzureichend. Lange konnten diese Probleme übertüncht werden. Jetzt sehen wir: So kann es nicht weitergehen. Und wir haben gelernt: Eine vergemeinschaftete Geld- und Währungspolitik kann dauerhaft ohne eine streng koordinierte Wirtschafts- und Fiskalpolitik nicht funktionieren.

Quo vadis, Europa?

Erstens, akutes Krisenmanagement: Die Beschlüsse des Europäischen Rates müssen wir schnellstmöglich umsetzen. Wir spannen finanzielle Rettungsschirme auf und statten sie mit größtmöglicher Kraft aus. Spar- und Reformprogramme müssen zügig umgesetzt werden und in eine glaubwürdige, nachhaltige Politik der Schuldenrückführung münden.

Zweitens: Wettbewerbsfähigkeit ist der Schlüssel für neue Wachstumsdynamik. Die EU hat mit der Agenda "Europa 2020" wichtige Orientierung gegeben. Mit dem "Euro-Plus-Pakt" werden auch nationale Maßnahmen, etwa in der Steuer- oder Arbeitsmarktpolitik, auf europäischer Ebene koordiniert. Wir wollen den Binnenmarkt weiter ausbauen. Aber auch hier gilt: Europa gibt den Rahmen vor. Entscheidend ist, dass alle ihre Ideen und Kreativität einbringen.

Drittens: Die bereits erfolgten Verschärfungen der Stabilitätsregeln weisen in die richtige Richtung. Sie reichen aber nicht. Der anhaltende Vertrauensmangel zeigt sich doch an den weiter steigenden Zinsen für die Anleihen einiger Euro-Staaten. Wir müssen deshalb weitergehen und die Wirtschafts- und Währungsunion zu einer wirklichen Stabilitätsunion ausbauen. Nur so machen wir die Fehlentwicklungen der Vergangenheit ein für alle Mal unmöglich. Das wird nicht ohne eng begrenzte Änderungen des EU-Vertrages gehen.

Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die EU braucht zeitgerechte Lösungen, um unser einzigartiges Lebensmodell der Freiheit, sozialen Gerechtigkeit und kulturellen Vielfalt zu bewahren. Dass das gelingt, ist die Verantwortung aller Mitgliedstaaten gemeinsam.