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Bei den Streitigkeiten zwischen einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geht es um unterschiedliche, meist legitime Interessen der einzelnen Länder. Als Conclusio hat dazu Christian Ortner in einem Kommentar in der "Wiener Zeitung" die entscheidende, leider unbeantwortete Frage gestellt: "Warum brauchen wir eigentlich eine immer engere Zusammenarbeit in der EU?"
Diese Frage ist eigentlich gar nicht so schwer zu beantworten. Eines vorweg: Vergessen wir Lärmpegel-Vorschriften, Glühlampen, Traktorsitze und Ähnliches. Solche Themen haben großes Verärgerungspotenzial bei den europäischen Bürgern, sind aber nicht mehr als skurrile Fußnoten eines historischen Großprojekts, das fortgeführt werden muss, weil ein Scheitern gerade unter den aktuellen Gegebenheiten katastrophal für Europas Bevölkerung wäre.
Die Globalisierung mit ihren wirtschaftlichen Interdependenzen hat den internen und externen politischen Gestaltungsspielraum einzelner Länder drastisch reduziert, sieht man von den USA, China und eben auch der Europäischen Union ab. Selbst ein so großes Land wie Indien mit mehr als einer Milliarde Einwohner hält nur eine Randposition. Würden sich die Europäer als wesentliche Player und Mitgestalter aus dem globalisierten Netzwerk verabschieden, hätte dies katastrophale wirtschaftliche Folgen.
Die Gefahren für Europa, die von den konkreten Bedrohungsszenarien einer Rücknahme des Engagements der USA in der Nato und weiteren internationalen Regelwerken, von einem aggressiven Russland und von der Flüchtlingskrise ausgehen, können nur von einem Europa mit gemeinsamer Außen-, Sicherheits-, Militär- und Migrationspolitik unter Kontrolle gehalten werden, also mit mehr Integration in sensiblen Politikfeldern.
Innerhalb Europas gibt es noch immer Konfliktpotenziale - wie den Westbalkan, zweifelhafte Demokratiereformen, Spannungen in der Währungsunion und Ähnliches -, die sich im Fall einer Desintegration der EU und der Eurozone rasch entladen und dem europäischen Friedensprojekt den Garaus machen würden. Man denke nur an eine mögliche Militärpräsenz Russlands in Serbien, an den Versuch, schwelende Grenzstreitigkeiten mit Waffen zu lösen, an protektionistische Aufschaukelungen und an kompetitive Währungsabwertungen.
Schließlich wäre ein wirtschaftlich und politisch zersplittertes Europa kaum in der Lage, die Mega-Herausforderungen der digitalen Revolution erfolgreich zu bestehen und die notwendigen Rahmenbedingungen mitzugestalten. Damit wäre nicht zuletzt auch das Ende der gemeinsamen Klimapolitik besiegelt.
Nationale Interessen, deren Durchsetzung Europa ins Chaos stürzen würden, können nie und nimmer legitim sein.
Zum Autor
Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industrie- und Wirtschaftspolitik in der Industriellenvereinigung.