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Wie wohl Historiker in zwanzig Jahren Europas große Krise bewerten? Nicht auszuschließen, dass im Rückblick genau diese leidgeplagten Jahre als Katalysator erscheinen, die unsere Gegenwart als apokalyptische Bedrohung für den Fortbestand der Union wahrnimmt.
Immerhin wurde den notorischen Schlendrianländern des Südens der Aufbau robuster staatlicher Strukturen, ohne die ein Staat weder Geld einnehmen noch sinnvoll ausgeben kann, auferlegt; mit dem Startschuss für den Aufbau einer Bankenunion endete die schicksalhafte Verbindung von Staaten und ihren global agierenden Finanzkonzernen; und schließlich ging es den Steueroasen an den Kragen, mit deren Hilfe Konzerne ihre Steuerlast auf ein lächerliches Minimum reduzieren konnten.
Tatsächlich hat sich die Krise bisher als Motor der Integration erwiesen (auch wenn die Möglichkeit eines Scheiterns noch nicht ausgeschlossen werden kann). Erst unter dem Stresstest der multiplen Hyperbelastung hat Europa ein Gefühl für die Vielzahl an Gegensätzen und Widersprüchlichkeiten bekommen, die nach wie vor fortdauern. Nationale Strategien, die unter den alten Bedingungen erfolgreich waren, haben heute entweder ihre realwirtschaftliche Wirksamkeit oder ihre Legitimität verloren.
Wenn Luxemburg mit seinen steuerlichen Lockangeboten tatsächlich Regeln gebrochen hat, droht dies zur ernsten Belastung für Jean-Claude Juncker zu werden, den neuen EU-Kommissionspräsidenten und langjährigen luxemburgischen Premier und Finanzminister. Lückenhafte Regeln auszunützen ist etwas deutlich anderes, als sie bewusst zu brechen, und umso mehr, wenn man an deren Erstellung aktiv mitgearbeitet hat.
Aber Luxemburg steht mit seiner Strategie keineswegs allein da. Mit den Vorwürfen der besonderen Begünstigung von Kapital und Unternehmen sind auch Irland, Malta und Österreich konfrontiert - von den Kanalinseln gar nicht zu reden. Deutschland muss sich fragen lassen, ob sein erfolgreiches Wirtschaftsmodell ordoliberaler Disziplin auch im Rahmen der Eurozone funktionieren kann; der Süden weiß schon, dass sein Modell der Vergangenheit ausgedient hat (ob er es nachhaltig ändern kann, steht auf einem anderen Blatt), Frankreich muss sich überhaupt neu erfinden . . .
In zwanzig Jahren werden wir wissen, ob die Sache gut ausgegangen ist.