)
Nein, um diplomatische Floskeln scheren sie sich nicht - der polnische Premier noch weniger als sein Zwillingsbruder, der polnische Präsident. Ein Argument für mehr Stimmgewicht in der EU ist aber an Bizarrerie kaum zu überbieten: Polen verlange doch nur zurück, was ihm genommen wurde, meinte Premier Jaroslaw Kaczynski im polnischen Radio. Ohne die Jahre 1939 bis 1945 hätte das Land nun 66 Millionen Einwohner - und damit mehr Stimmgewicht. Immerhin hat Polen im Zweiten Weltkrieg sechs Millionen Menschen verloren.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Kaum vorstellbar der Aufschrei, würde Bundeskanzlerin Angela Merkel kontern: Und Deutschland hat der Krieg fünfeinhalb Millionen Menschenleben gekostet. Doch sie weiß, wie unangebracht und unwürdig der Vergleich wäre. Stattdessen muss Merkel an Polen appellieren, europäischer zu denken.
Als EU-Vorsitzende hat sie selbst nationale Interessen zurückzustellen. Dabei gehört Deutschland zu jenen 18 Staaten, die die EU-Verfassung schon ratifiziert haben. Und die müssen sich nun leise fragen, wie viel ihrer Zeit in den zwei Jahren seit der Ablehnung des Vertrags in Frankreich und den Niederlanden verschwendet wurde. Was sollen diese Staaten beim EU-Gipfel tun? Zuschauen, wie sich ein paar Länder um ein Dokument zanken, das die Mehrheit der EU-Mitglieder befürwortet?
Dass deren Schmerzgrenze überschritten sein könnte, zeigten bereits die Drohungen aus Spanien. Wenn Großbritannien gegen einen EU-Außenminister sei, werde Spanien gegen einen ständigen Ratspräsidenten stimmen, hieß es aus Madrid. Österreich wiederum rechnet mit "Einbußen, die uns nicht gefallen werden", wie es Außenministerin Ursula Plassnik formulierte. Dennoch will Wien soviel wie möglich von der "Substanz des Vertrags" retten. Dafür will sich auch Luxemburg einsetzen - und schließt seinerseits ein Veto nicht aus, sollte die Verfassung gefährdet sein.
Dennoch gehen die Warnungen vor einem Europa der zwei Geschwindigkeiten, die von den Befürwortern der Verfassung immer wieder kommen, an der Realität vorbei. Es gibt bereits drei, vier, fünf Geschwindigkeiten. 13 von 27 Staaten sind Mitglieder der Eurozone, 13 - plus Norwegen und Island - gehören der Schengen-Zone an, in der Grenzkontrollen abgebaut werden. In ihrer wirtschaftlichen Entwicklung hat die Region um die slowenische Hauptstadt Laibach schwächere Teile Österreichs überholt, während einige Regionen Rumäniens noch Jahrzehnte brauchen werden, um an westeuropäische Lebensstandards aufzuschließen.
Wie weit Europa von der Einheit entfernt ist, die Politiker sich zu wünschen behaupten, zeigt das Verhalten der Polen. Lauter als andere demonstrieren sie ihren nationalstaatlichen Egoismus. Doch sie sind nicht die einzigen, die EU-Interessen hintan stellen. Der Vorwurf ist an so gut wie jedes Land zu richten.