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Europa - Die Krise als Chance begreifen

Von Andreas Schieder

Gastkommentare
Andreas Schieder ist Klubobmann der SPÖ.

Die Europäische Union muss in der Lage sein, den sozialen Frieden zu sichern und für Wohlstand der Bevölkerung zu sorgen.


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Europa steht an einer Weggabelung. Der Brexit, offensiv anti-europäische Politiker und Politikerinnen in den einzelnen Nationalstaaten und die nach wie vor negativen Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise setzen das Projekt Europa enorm unter Druck. Diese Krise kann, ja muss jedoch als Chance begriffen werden, um eine neue europäische Politik zu gestalten. Wir müssen die Dynamik, die durch den Brexit-Prozess zwangsläufig entsteht, dafür nutzen, um die Europäische Union neu aufzustellen, um den Menschen echte Zukunftsperspektiven der europäischen Integration bieten.

Wenn der pro-europäische Emmanuel Macron aller Voraussicht nach die französischen Präsidentenwahlen gegen die rechtspopulistische, anti-europäische Marine Le Pen gewinnen wird, ist es eine gute Nachricht für die EU. Aber das Attribut "pro-europäisch" allein ist nicht ausreichend, um den Kontinent in eine positive Richtung zu lenken. Wichtig ist die inhaltliche Ausgestaltung der europäischen Politik. Und da gibt es Reformbedarf.

Die Schwerpunkte für diese Reformen liegen klar auf der Hand: Europa muss in der Lage sein, den sozialen Frieden zu sichern und für Wohlstand der Bevölkerung zu sorgen. Das Viereck aus Freiheit, sozialem Wohlstand, Umwelt und Wettbewerbsfähigkeit muss in Balance bleiben. Das gelingt nur, wenn wir den Fokus stärker auf eine Sozialunion legen. Leider wurde in den vergangenen Jahren die soziale Dimension viel zu oft einer kurzsichtigen Austeritätspolitik geopfert. Wir brauchen die EU als Sozialunion, die sich dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit und für Steuergerechtigkeit widmet. Die Bürgerinnen und Bürger Europas haben null Verständnis dafür, dass Konzerne Milliarden an Steuern nicht zahlen und die Finanzmärkte kaum etwas zum Steueraufkommen beitragen. Wenn die EU den Kampf gegen Steuerbetrug und für Beschäftigung nicht gewinnt, verliert sie zu Recht an Glaubwürdigkeit. Voraussetzung für einen politischen Kurswechsel sind auch Reformen bei den Institutionen. Diese sind zu schwerfällig, sie müssen schlagkräftiger und flexibler werden. Ebenfalls auf der Agenda sind Reformen beim EU-Budget. Denn der Brexit stellt die Union vor neue finanzielle Herausforderungen. Was wir brauchen, ist ein effizienterer Einsatz der EU-Gelder mit mehr Fokus auf Zukunftsinvestitionen und Infrastruktur. Gleichzeitig braucht die EU mittelfristig Eigenmittel - etwa aus der Körperschaftssteuer multinationaler Konzerne, die am meisten von der Union profitieren.

Der Brexit wird aber nicht nur Gremien und Finanzen verändern, sondern die gesamte Organisation der Union. Nicht zuletzt wird es künftig einen Nachbarschaftsvertrag mit dem Vereinigten Königreich brauchen, der im Österreichischen Nationalrat zu ratifizieren ist. Eine begleitende Einbindung des Parlaments ist vor diesem Hintergrund unabdingbar. So wie die Zukunft der EU nicht nur Sache der großen Länder sein darf, so darf sie auch nicht nur eine Sache der Regierungen, sondern muss auch eine der Volksvertretungen sein.