UNO berichtet über schwere Misshandlungen der Uiguren. Doch wenn EU reagiert, droht Chinas Vergeltung.
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Der Bericht über die Menschenrechtslage in der chinesischen Provinz Xinjiang ist einer der brisantesten, den die UNO in letzter Zeit veröffentlicht hat. Das betrifft den Inhalt: Das UN-Menschenrechtsbüro sieht Anhaltspunkte für Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen muslimische Minderheiten, insbesondere die Uiguren. Und auch die Umstände der Veröffentlichung sind explosiv: Die scheidende UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, berichtete davon, dass sie massiv unter Druck gesetzt wurde, die Untersuchung unter Verschluss zu halten. 40 Staaten hätten sich mit einem derartigen Schreiben an sie gewandt. Welche Länder das waren, verriet sie nicht.
Westliche Regierungen und viele Menschenrechtsorganisationen hatten Bachelet wiederum immer wieder kritisiert, viel zu devot gegenüber China aufzutreten. Diese verteidigte sich, dass sie sich Räume offen halten musste, um von Peking Möglichkeiten zur Ermittlung zu erhalten. Nun hat die einstige Präsidentin Chiles am späten Mittwochabend wenige Minuten vor dem Ende ihrer Amtszeit den Bericht veröffentlicht.
"Muster von Folter"
Und dieser zeichnet ein grauenhaftes Bild von den Zuständen in den - wie China sie nennt - Berufsbildungseinrichtungen: "Vorwürfe von Mustern von Folter oder Misshandlung sind glaubhaft", schreibt die UNO.
Das Ausmaß der willkürlichen und diskriminierenden Inhaftierung von Angehörigen der Uiguren und anderen überwiegend muslimischen Gruppen "könnte internationale Verbrechen, insbesondere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darstellen". Den Menschen seien von 2017 bis 2019 und möglicherweise darüber hinaus fundamentale Rechte vorenthalten worden.
China streitet die Vorwürfe ab. Der Bericht sei ein "ein Sammelsurium von Fehlinformationen", sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin. Dahinter stünde die Strategie des Westens, mit Hilfe des Themas Xinjiang "China zu kontrollieren".
Allerdings berichten auch Exil-Uiguren davon, dass Angehörige plötzlich spurlos verschwinden. Laut Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen wurden hunderttausende Uiguren in Umerziehungslagern interniert. Geleakte Dokumente aus dem chinesischen Staatsapparat sowie die Nachforschungen internationaler Medien und Wissenschaftler zeichnen schon lange ein düsteres Bild von der Lage Xinjiang, das nun der UN-Bericht, wenn auch zurückhaltender, bestätigt. Was Forscher als "Zwangssterilisationen" von uigurischen Frauen bezeichnen, bezeichnet die UNO als "Verletzungen der reproduktiven Rechte", deren Ausmaß, auch aufgrund eines Mangels staatlicher Zahlen, nicht nachvollziehbar sei. Auch Berichte über Vergewaltigungen sieht die UNO als glaubhaft an.
Die Vereinten Nationen sahen aber -zum Missfallen des Weltkongresses der Uiguren, der seine Arbeit im Exil verrichten muss - davon ab, das Vorgehen der Staatsmacht als Genozid zu bezeichnen. Trotzdem erhalten die Vorwürfe gegen China mit dem Bericht nun mehr Gewicht. Die Frage ist aber, inwieweit diese Veröffentlichung die internationale Politik beeinflussen wird.
Während die USA bereits sehr scharfe Sanktionen beschlossen haben, die teilweise auch den Handel mit in Xinjiang tätigen Firmen erschweren, hat sich die EU bisher großteils darauf beschränkt, einzelnen politischen Verantwortlichen die Einreise und Geldgeschäfte in der EU zu verbieten. Europäische Staaten befinden sich in einem Dilemma: Einerseits möchten viele von ihnen eine wertebasierte Außenpolitik verfolgen, andererseits drohen bei einer offensiveren Menschenrechtspolitik wegen Chinas Vergeltungsaktionen in der derzeit wirtschaftlich turbulenten Zeit Wohlstandsverluste.
Die Berichte über Xinjiang könnten aber, ebenso wie das aggressive Verhalten der Volksrepublik gegenüber Taiwan oder die Partnerschaft Pekings mit Russland, ein weiterer Anstoß sein, sich langfristig von China mehr zu entkoppeln. So arbeitet Deutschland - aufgrund seiner Wirtschaftsmacht, aber auch seiner Exportabhängigkeit von China der in dieser Frage wichtigste europäische Akteur - gerade an einer neuen China-Strategie. Dabei stellt sich auch die Frage, inwieweit deutsche - oder auch generell europäische - Unternehmen in Xinjiang engagiert sein sollen. So unterhalten etwa VW oder BASF Produktionsstätten in der Region. Aus Österreich ist nur von der OMV bekannt, dass sie sich an einem Klimaschutzprojekt der örtlichen Firma Shaya Saipu Energy Limited beteiligt.
Gegensanktionen Chinas
Peking wiederum verbietet sich jede Einmischung und reagiert scharf auf Kritik. So sanktioniert China seinerseits Forscher und europäische Politiker, die sich zu Xinjiang äußern.
Ein anschauliches Beispiel ist auch der Fall Özil: Als der türkischstämmige deutsche Fußballer in einem Tweet die Unterdrückung der Uiguren und das Schweigen der islamischen Welt darüber kritisierte, distanzierte sich sein damaliger Verein, der FC Arsenal, der Millionen Fans und entsprechende Umsätze in China hat, sogleich von der Äußerung. Zuvor hatte das chinesische Staatsfernsehen ein Spiel des Londoner Klubs aus dem Programm genommen. Und Staaten wie Pakistan oder Saudi-Arabien, die ein sehr islamisches Selbstverständnis haben, schweigen weiter zu den Uiguren. Auch sie sind eng mit China verwoben.