Die Europäische Union hat es sich mit den großen internationalen Ratingagenturen verscherzt - und zwar, ohne gleichzeitig für Alternativen zu sorgen. Nun muss man sich im Machtpoker von den Auguren der Kreditwürdigkeit vorführen lassen.
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Vor allem in Europa kam im Zuge der Finanzkrise laute Kritik an den weltweit tätigen Bonitätsbewertern auf. Diesen wurde vorgeworfen, windigen Finanzprodukten Bestnoten verliehen zu haben. Eine Diskussion über Abhängigkeitsverhältnisse brach los - schließlich werden die Agenturen von jenen bezahlt, die die gerateten Wertpapiere ausgeben. Außerdem wurden - zumindest teilweise - unreflektiert die Bewertungsmodelle dieser Emittenten übernommen.
Nun überwacht die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde in Paris das Schaffen der Ratingagenturen und versucht, eine gewisse Transparenz sicherzustellen. Die zunehmende Regulierung sorgt bei den Betroffenen jedoch offenbar für massiven Missmut.
Seit Monaten zeichnen sich die Branchenführer Standard & Poors (S&P), Moodys und Fitch dadurch aus, dass sie zufälligerweise immer vor heiklen EU-Treffen die Bonität von Staaten der Eurozone senken. Das hat ihnen den Vorwurf eingebracht, die europäische Staatsschuldenkrise noch zu verschärfen. Am Freitag erreichte der schwelende Konflikt jedoch eine neue Eskalationsstufe.
In einem aufsehenerregenden Schritt hat zunächst Moodys das Rating von 23 deutschen Finanzinstituten herabgesetzt. Die Begründung klingt lapidar: In einer zukünftigen Krise wäre es nicht mehr so sicher, ob der Staat den Banken wieder in diesem Maße unter die Arme greifen würde.
Praktisch gleichzeitig ließ S&P die Bombe platzen: Ab 17. Mai werde man kein Rating für Emissionen der fünf größten EU-Länder mehr veröffentlichen, da es mit diesen keinen entsprechenden Vertrag gebe. Bisher führte S&P diese Bewertungen aufgrund des Marktinteresses aus eigenem Antrieb durch. Für die Staaten geht es um viel Geld. Ohne ein Rating der großen Agenturen müssten sie höhere Zinsen für ihre Schulden zahlen, da ihnen die Gläubiger weniger Vertrauen entgegen bringen würden.
Sollte Europa nun abwarten, wie sich die anderen großen Agenturen verhalten, könnte es bald zu spät sein. Solange die Staaten den drei US-dominierten Branchenriesen ausgeliefert sind, werden sich diese keiner Regulierung beugen, die möglicherweise ihre Geschäfte einschränkt. Die EU hat die Idee einer eigenen europäischen Ratingagentur bisher nicht nachhaltig verfolgt. Ein solches Ass im Ärmel geht den Staaten nun sichtlich ab.