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Stellen wir uns einmal vor, die politische Verfassung Österreichs würde so aussehen wie jene der Europäischen Union. Der Nationalrat wäre dem jetzigen durchaus ähnlich. Die Abgeordneten hätten weniger Rechte; zum Beispiel könnten sie nur "der Regierung" als ganzer das Misstrauen aussprechen, aber nicht einzelnen "Ministern".
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Die "Bundesregierung" ist die Österreichische Kommission mit neun Mitgliedern. Jedes Bundesland entsendet einen Kommissar. Diese Person ist manchmal fähig und hat Erfahrung jenseits der Grenzen von Tirol oder Kärnten, manchmal ist es jemand, den man im Bundesland gerade loswerden will. Der Präsident der Kommission wird de facto von den neun Landeshauptleuten bestimmt.
Einen Bundesrat wie jetzt gibt es nicht. Aber es gibt das eigentliche Machtzentrum: den Österreichischen Rat. Dieser besteht aus den neun Landeshauptleuten, die sich mindestens vierteljährlich zu ein- oder zweitägigen Sitzungen treffen. Der Österreich-Rat sagt der Kommission, was sie zu tun oder zu lassen hat. Er fasst seine Beschlüsse in der Regel mit doppelter Mehrheit, das heißt, eine Mehrheit der Landeshauptleute muss auch eine Mehrheit der Bundesbevölkerung repräsentieren. In wichtigen Fragen - Steuer-, Außen-, Sicherheitspolitik - müssen Beschlüsse einstimmig erfolgen. Wenn dieser Konsens, was häufig der Fall ist, nicht erzielbar ist, macht jedes Bundesland, was es will.
Das gilt auch für internationale Gremien wie die UNO. Dort ist jedes Bundesland einzeln vertreten, nicht die Österreich-Kommission oder der Rat. Das hat natürlich Folgen für die Wahrnehmung der Republik (frei nach Kissinger: "Wen soll ich anrufen, wenn ich mit Österreich sprechen will?").
Wohlgemerkt: Es gibt Landeshauptleute, die nicht bloß Kirchturmpolitik betreiben wollen, die durchaus das Beste für ganz Österreich im Auge behalten. Aber ihr politisches Überleben beruht ausschließlich auf Wahlerfolgen im eigenen Bundesland. Das gilt für jedes Mitglied des Österreich-Rats. Da mag einer sich noch so trefflich bundespolitisch engagieren und noch so viel bundespolitisches Ansehen genießen - die Wahl gewinnen muss er im eigenen Bundesland, nirgends sonst. Aus dieser Anreizstruktur folgt: Das Hemd ist näher als der Rock.
Die EU-Struktur wird sich für Österreich niemand wünschen (nicht einmal die Landeshauptleute). Ist sie angemessen für die EU? Spätestens seit der Einführung der Währungsunion: Nein. Platt gesagt: Mehr Brüssel - und nicht weniger - ist notwendig. Aber mit diesen Strukturen? Erstaunlich ist ja nicht, dass viel schiefgeht auf europäischer Ebene, erstaunlich ist vielmehr, dass das Ganze überhaupt noch - irgendwie - zusammenhält.. .
Alexander Van der Bellen ist Nationalratsabgeordneter der Grünen. Jeden Freitag lesen Sie an dieser Stelle den Gastkommentar eines Vertreters einer Parlamentspartei.