Die USA liegen im wirtschaftlichen Clinch mit China. Es hoch an der Zeit, die Fakten der globalen Machtverschiebung anzuerkennen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Ein Handelskrieg liegt in der Luft. Die USA haben Handelsabkommen gekündigt (TPP) oder verhandeln sie neu (Nafta), sie wollen "aus Sicherheitsgründen" Zölle gegen die ganze Welt auf Stahl und Aluminium verhängen und haben kürzlich China ins Fadenkreuz genommen und für Einfuhren von dort Zölle - vor allem für Hochtechnologie - im Ausmaß von 50 Milliarden Dollar angekündigt. Als die Chinesen gezielt 3 Milliarden Dollar an Zöllen auf Agrareinfuhren aus den USA verkündeten, drohte US-Präsident Donald Trump gleich mit weiteren 100 Milliarden Dollar.
Gleichzeitig lobt Trump weiter "seinen Freund Xi" und spielt mit seinen Ministern "good cop/bad cop". Zwar beruft er sich bei seinen angekündigten Maßnahmen auf die Regeln der Welthandelsorganisation WTO, will aber gleichzeitig die WTO schwächen oder ganz in die Luft jagen.
Chinas Aufstieg schwächt die Vormachtstellung der USA
Hinter all dem Getöse stehen Trumps "America First"-Strategie und sein Versuch, durch Zölle und andere protektionistische Maßnahmen einerseits das Außenhandelsdefizit mit China, das 2017 ein Ausmaß von 370 Milliarden Dollar erreichte, zu reduzieren, und andererseits Chinas absehbaren Aufstieg zur größten Volkswirtschaft der Welt zu bremsen. Denn dieser würde die unangefochtene Vormachtstellung der USA seit 1945 in Frage stellen. Es geht dabei aber nicht nur darum, wer Erster ist, sondern auch, wer die Machtverhältnisse und damit auch die Regeln, die Weltwirtschaft und den Handel bestimmen, gestalten kann. Fraglos nutzt China die aktuellen Regeln zu seinen Gunsten aus.
Bisher hat dies eindeutig der Westen getan: Die wirtschaftlichen Bretton-Woods-Institutionen (Internationaler Währungsfonds und Weltbank) und die Welthandelsorganisation orientieren sich weiterhin am westlichen Modell der Marktwirtschaft. Die westlichen Länder (inklusive Japan) sträuben sich seit Jahren, in diesen Institutionen die aufstrebenden Volkswirtschaften ihrem Gewicht gemäß mitreden zu lassen. Siehe etwa die seit zehn Jahren umkämpfte "Quotenreform" im IWF (im Gefolge auch in der Weltbankgruppe), bei der es um eine Umgewichtung der Stimmrechte und um Zugang zu Finanzmitteln für die aufstrebenden Länder geht. Diesen ist es lediglich gelungen, die vergangene Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation ("Doha-Runde") lahmzulegen, mehr nicht.
Die Rückzugsgefechte des Westens, seine 80 Jahre dauernde unangefochtene Dominanz in der globalen Wirtschaftslenkung ("governance") zu verteidigen, waren bisher oberflächlich erfolgreich. Um die anstehenden Probleme im Sinne der Weltbevölkerung zu lösen, ist es jedoch hoch an der Zeit, die Fakten der globalen Machtverschiebung anzuerkennen und gemeinsam mit den aufstrebenden Staaten und den Entwicklungsländern Einflussmöglichkeiten und -notwendigkeiten zu diskutieren.
Die EU sollte mit China den Welthandel neu ordnen
Es besteht kein Zweifel, dass China seine Stellung als zweitgrößte Volkswirtschaft anerkannt sehen und die Regeln mitbestimmen will. Wenn die USA dabei derzeit nicht mitmachen wollen, sollte die Europäische Union mit China und anderen an einer Neuordnung Interessierten gemeinsame Lösungen suchen. Früher oder später werden die USA mitmachen, wenn sie sehen, dass es eine gemeinsame Front gegen sie gibt. Dies hat auch nach der Ankündigung Trumps, das Pariser Klimaschutzabkommen zu kündigen, funktioniert. Eine Weltwirtschaft ohne Regeln führt zur Durchsetzung der Rechte der Stärkeren, zu massiven Konflikten, und dazu, dass kleine und arme Länder zu Spielbällen der Interessen der Großen und Starken degradiert werden.
Die notwendige Neuordnung des Welthandelsregimes böte auch eine Chance, die sozialen, verteilungsmäßigen und ökologischen Verwerfungen, die das bisherige Regime verursacht hat, künftig zu verhindern. Globalisierung kann ihre Vorteile nur bringen, wenn sie von breiten Teilen aller Bevölkerungen akzeptiert wird. Das viel zu enge Mandat der Welthandelsorganisation, das Probleme wie unterschiedliche Konkurrenzbedingungen durch Lohnunterschiede, Umwelt- und Klimazerstörungen durch überbordende Transporte oder Arbeitsplatzverluste durch Auslagerungen mit sich bringt, müsste um diese Agenden erweitert werden.
Globale Handels- und Investitionsregeln, die auch auf soziale und ökologische Auswirkungen Bedacht nehmen und die legitimen Interessen von Ländern mit sehr unterschiedlichem Entwicklungsstand berücksichtigen, können Handelskriege mit ihren katastrophalen Auswirkungen auf alle Bevölkerungen verhindern.
Die Europäische Union kann und muss hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Nur am Rand zu sitzen und zuzusehen, wie die USA und China einander gegenseitig zerfleischen, würde auf uns selbst zurückfallen. Die EU hat eine Chance, im geopolitischen Ringen um eine Neuordnung ihre Wertvorstellungen einzubringen. Sie muss sich nur endlich klar positionieren.
Kurt Bayer ist Ökonom. Er war Board Director in Weltbank (Washington) und EBRD (London) sowie Gruppenleiter im Finanzministerium.