Entweder Österreich sitzt am Verhandlungstisch - oder wir stehen auf der Speisekarte.
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Mit der Wahl Emmanuel Macrons zum Präsidenten Frankreichs und seinem Erfolg bei den Parlamentswahlen hat auch die EU-Zukunftsdebatte neuen Schwung bekommen. Die französischen Vorstellungen zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion sind ein guter Start. Allerdings sind die Vorschläge bis dato nur in Form von Überschriften bekannt, die großen Unterschiede zwischen Paris und Berlin liegen jedoch im Detail. Auch wenn etwa heute, Mittwoch, die Debatte im Rahmen des deutsch-französischen Ministerratstreffens ihre Fortsetzung findet, wird sich die Diskussion um einen Euro-Finanzminister, ein Euro-Budget und gemeinsame Investitions- und Verschuldungsfragen bis zur deutschen Bundestagswahl vermutlich wenig konkretisieren. Danach wäre das Tandem Paris-Berlin gut beraten, an Reformgeschwindigkeit zuzulegen, aber auch andere Mitglieder der Eurozone zu konsultieren.
Die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft - in Österreich und weiteren EU-Kernländern - ist derzeit so hoch wie schon lange nicht mehr. In einer aktuellen Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik sind drei von vier Befragten für die EU-Mitgliedschaft, 21 Prozent plädieren für einen EU-Austritt. Gegenüber Juli 2016 ist die Zahl der Befürworter um 14 Prozentpunkte gestiegen. Ein ähnlich hoher Zustimmungswert zur EU-Mitgliedschaft fand sich zuletzt im Februar 2011.
Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass die EU ihre Schwachstellen beseitigt hat und nun besser aufgestellt ist, aktuelle Probleme zu lösen. Doch in instabilen internationalen Zeiten - vor dem Hintergrund von Brexit und Donald Trump als US-Präsident - sind nationale Alleingänge für eine deutliche Mehrheit keine Option. Eigentlich ein günstiger Zeitpunkt für die EU und ihre Mitglieder, Reformen tatsächlich umzusetzen und damit die Effizienz der EU-Strukturen zu verbessern. Die gestiegene Zustimmung kann letztlich nur dann Bestand haben, wenn es der EU gelingt, wieder Vertrauen in gesamteuropäische Lösungen zu wecken.
Gleichzeitig wird jedoch eine weitere Vertiefung der Eurozone mit Skepsis gesehen. 59 Prozent der Österreicher lehnen die französischen Vorschläge schon jetzt ab, 23 Prozent würden eine solche Reform begrüßen, fast ein Fünftel kann oder will dazu nicht Stellung beziehen. Und so wichtig eine verbesserte gemeinsame Wirtschaftspolitik letztlich auch ist, so sind es in der öffentlichen Wahrnehmung doch vor allem sicherheitspolitische Sorgen, die prioritär einer Antwort harren.
Die öffentliche Debatte zu einer Neugestaltung der Eurozone steht erst am Anfang. Wenn über höhere Budgets, Kompetenzverlagerungen und etwaige finanzielle Transfers gesprochen wird, muss der Mehrwert besonders deutlich gemacht werden. Sonst wird die Unterstützung für ein solches Projekt, zumindest in unseren Breitengraden, nicht gegeben sein. Eine Präzisierung der angedachten Ideen und deren Diskussion stehen noch aus und würden helfen.
Und wo steht Österreich? Wir wären jedenfalls gut beraten, uns an der Diskussion um die Zukunft der EU aktiver als bisher zu beteiligen und uns nicht vom Wettstreit der Ideen zu absentieren.