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Europa hat Ansprüche

Von Walter Hämmerle

Politik

Wenn US-Präsident George W. Bush heute die NATO-Partnerstaaten im Brüsseler Hauptquartier trifft, wird unweigerlich auch der Vorstoß von Deutschlands Bundeskanzler Gerhard Schröder für eine umfassende Reform des nordatlantischen Bündnisses zur Sprache kommen. Viel wird dabei jedoch kaum herauskommen, hat Bush doch bereits mehrfach betont, dass er mit solchen Überlegungen nur wenig anzufangen weiß.


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Mit seinem Reform-Vorstoß hatte Schröder für erhebliche Irritationen unter den Bündnispartnern gesorgt, als er bei der Münchner Sicherheitskonferenz am vorvergangenen Wochenende via Verteidigungsminister Peter Struck verlauten ließ, die Nato sei nicht mehr der "primäre Ort, an dem die transatlantischen Partner ihre strategischen Vorstellungen konsultieren und koordinieren". Vor allem von britischer und offizieller NATO-Seite wurde Schröder dafür heftig kritisiert, wenngleich dem deutschen Kanzler von manchen zugestanden wurde, dass er mit seiner Kritik ins Schwarze treffe. Die USA selbst reagierten recht gelassen auf die Forderung: Man könne, meinten sie sinngemäß, natürlich über alles reden, viel anzufangen weiß die unangefochtene globale Führungsmacht mit diesen Ideen allerdings nicht. Das machte auch Bush selbst mehr als deutlich.

Dennoch bleibt die Frage, in welche Richtung sich die NATO in Zukunft entwickeln soll. Anlass darüber nachzudenken, haben die USA selbst genug geliefert: Mit ihrer Maxime, nach der "die Mission die Koalition und nicht die Koalition die Mission" zu bestimmen habe, habe sie sich zwar anlässlich des Irak-Krieges selbst von den Fesseln eines einheitlichen Vorgehens innerhalb der NATO befreit, damit jedoch zugleich auch den Europäern die Sinnfrage des mittlerweile 26 Staaten umfassenden Bündnisses aufgezwungen.

Auf einen bemerkenswerten Umstand wies dabei der Wiener Sicherheitsexperte Heinz Gärtner gegenüber der "Wiener Zeitung" hin: Mit US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld lobte ausgerechnet jener Politiker die NATO am überschwänglichsten - in München sprach er in Reaktion auf Schröder vom "erfolgreichsten Bündnis in der Geschichte der Menschheit" -, der anlässlich der Turbulenzen wegen des Irak-Krieges das Bündnis selbst in Frage gestellt hatte.

Vor allem die EU-Staaten, die sich ja eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zum Ziel gesetzt haben, fühlen sich innerhalb der NATO nicht ihrer Größe entsprechend berücksichtigt. Dementsprechend wollen sie den Einfluss der Union erhöhen mit dem Ziel, dereinst selbst auf die organisatorischen und militärischen Strukturen der NATO im Bedarfsfall zurückgreifen zu können. Derzeit geht jedoch ohne den erklärten Willen der USA nichts, was aus Sicht der Europäer insofern ein auf mittlere Sicht untragbarer Zustand ist, weil Washington auch ohne die NATO handeln will und kann.